Die Schritte von Donald Trump in den vergangenen Wochen folgen einem Drehbuch. Deshalb sollte Europa nicht vorschnell zurückschlagen, findet Capital-Chefredakteur Timo Pache.

Es ist nicht besonders schwer, Donald Trumps "Tag der Befreiung" für die USA – die Ankündigung neuer massiver Zölle gegen alle anderen Staaten der Welt inklusive einer Insel, auf der nur Pinguine wohnen – zu kommentieren. Man landet dann schnell bei Vokabeln wie "verrückt", "Irrsinn", "historischer Fehler", oder bei Formulierungen wie "Schuss ins Knie". All diese Einordnungen sind auch richtig. 

Aber ich fürchte, sie treffen nicht mal im Ansatz das Kalkül des amerikanischen Präsidenten. Und solange wir nicht verstehen, worum es ihm wirklich geht, werden Europa und der Rest der Welt kaum die richtigen Antworten auf Trumps Politik finden. 

Fangen wir bei dem an, was Trump verkündet hat: Mehr oder weniger willkürlich festgelegte Einfuhrzölle für praktisch alle Staaten der Erde, angeblich, um die Handelsbilanzen zwischen den USA und diesen Ländern wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Trumps erklärtes Ziel ist es, den Kauf von Waren aus dem Ausland für alle US-Amerikaner unattraktiver zu machen – für Konsumenten ebenso wie für Konzerne, die auf diese Maschinen oder Komponenten in ihrer Produktion bisher angewiesen waren. "Buy American" statt "buy elsewhere" soll auch ein Anreiz für ausländische Unternehmen sein, schnell in den USA eine Produktion zu errichten, um die Zölle zu vermeiden – Trumps zweites erklärtes Ziel: "Bring back jobs". 

US-Firmen und -Verbraucher sind die großen Verlierer

Gegen diese Politik lassen sich zahlreiche gute Argumente anführen: Der alleinige Blick auf die bilateralen Handelsbilanzen mit anderen Ländern klammert zum Beispiel Dienstleistungen aus, mit denen US-Techkonzerne die halbe Welt abhängig gemacht haben. Was wiederum nicht auf Intrigen gegen die USA zurückgeht, sondern auf eine gewachsene Wirtschaftsstruktur, die die USA nicht zufällig zum mit Abstand reichsten Land der Erde gemacht haben. Trumps Annahmen, auf denen seine Politik angeblich gründet, sind also mindestens mal völlig unzureichend und irreführend. 

Zudem schaden die Zölle US-Unternehmen und amerikanischen Konsumenten viel mehr als jenen im Ausland (denen schaden sie auch, aber eben nicht so stark), was sich am Donnerstag auch an den Börsen abzeichnete: Der Dax zum Beispiel verlor etwa drei Prozent an Wert, der breite US-Index S&P 500 jedoch fast fünf Prozent und der Tech-Index Nasdaq sogar noch mehr. Das zeigt, wo die Märkte die größten Einschnitte und Verluste vermuten.

Man kann es auch ganz plastisch machen: Der Flugzeugbauer Boeing etwa, der größte Einzelexporteur der USA, produziert seine Maschinen aus mehreren Tausend Komponenten, die von hunderten Zulieferern aus der ganzen Welt geliefert werden. Diese Liefer- und Produktionskette lässt sich nicht binnen Monaten, nicht mal binnen weniger Jahre neu zusammenstellen. Das bedeutet, dass Flugzeuge von Boeing in den nächsten Jahren einfach deutlich teurer werden, auch im Vergleich zu ähnlichen Modellen des europäischen Rivalen Airbus. Boeings Aktie verlor am Donnerstag gut zehn Prozent an Wert. Der US-Sportartikelhersteller Nike wiederum produziert nur wenig in den USA und importiert den Großteil seiner Produktpalette in seinen wichtigsten Markt. Auch das wird der Konzern niemals ändern, weil die Zölle immer noch billiger sind als die Produktion zu US-Kosten. Die Nike-Aktie verlor am Donnerstag mehr als elf Prozent. 

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Was führt Trump wirklich im Schilde?

Zu guter Letzt ein logischer Einwand: Trump sagt, die Zölle sollten Industriejobs zurück in die USA bringen. Und er sagt, die Zölle sollten die USA reich machen – er kalkuliert mit jährlichen Zusatzeinnahmen von bis zu 600 Mrd. Dollar, die er für Steuerentlastungen nutzen will. Allerdings kann er nur eins von beidem haben: Entweder die Jobs kommen zurück, dann entfallen die Zolleinnahmen – oder er kassiert die Zölle, dann bleiben die Jobs weg. All diese Einwände sind offensichtlich und gut begründet, die Reaktion der Märkte war eindeutig, weshalb sich die Frage stellt: Warum zum Teufel zettelt Trump so ein Fiasko an – für die Weltwirtschaft und für sein eigenes Land? 

Auf diese Frage gibt es mindestens drei Antworten: 

  1. Trump will die Zölle als Druckmittel nutzen, um andere Länder zu erpressen. Sein Politikansatz, mit ungekannter Härte eigene, mitunter auch überraschende Interessen zu verfolgen, hat man schon in den ersten Wochen seiner Amtszeit gesehen – etwa im Umgang mit der ukrainischen Regierung. Ihr wird er absehbar nur noch helfen im Kriegen gegen Russland, wenn Kiew den USA exklusiven und unbegrenzten Zugang zu den Rohstoffen des Landes zusichert. 
    Gut möglich, dass er künftig auch gegenüber anderen Staaten so auftreten wird – die Zölle geben ihm dazu ein Druckmittel: Ihr wollt niedrigere Zölle? Dann kauft amerikanische Waffen! Oder auch: Ihr wollt keine amerikanischen Waffen mehr? Dann bekommt Ihr höhere Zölle. Dieser Politikansatz wird Grenzen haben, aber erst mal wird Trump ihn nutzen. 
  2. Trumps wichtigstes Ziel ist gar nicht der Ausgleich der Handelsbilanzen, sondern ein billigerer Dollar und niedrigere Renditen auf US-Staatsanleihen. Ersteres hat Trump in der Vergangenheit immer wieder erklärt, letzteres sagte Finanzminister Scott Bessent in den vergangenen Tagen. Und beides erreichen Trump und seine Leute durch das Zoll-Chaos und den Handelskrieg. 
    Gegenüber dem Euro hat der Dollar seit Trumps Amtsantritt fast zehn Prozent an Wert verloren – was überraschend ist, denn eigentlich hatten alle Ökonomen mit den Einfuhrzöllen eine Aufwertung des Dollar erwartet. Zugleich sind die Renditen auf US-Staatsanleihen deutlich gesunken, von 4,8 Prozent Mitte Januar auf unter 4 Prozent aktuell. Der Grund für beide Entwicklungen ist derselbe: Der Handelskrieg wird die US-Konjunktur deutlich abkühlen, vielleicht sogar eine Rezession in den USA provozieren. Das ist zwar nicht Trumps primäres Ziel, aber er nimmt es in Kauf, um den Dollar zu schwächen und den Schuldendienst für die USA zu verbilligen. 
  3. Das führt zu einem dritten Kalkül mächtiger Leute in Trumps Umfeld, das in Europa nach wie vor zu wenig Beachtung findet: Eine mögliche Neuordnung des gesamten Weltfinanzsystems, inzwischen bekannt als Mar-a-Lago-Accord. Der Plan sieht vor, dass die USA ihre ausländischen Gläubiger zu einer "freiwilligen" Umschuldung ihrer US-Anleihen zwingen – von den heute relativ hoch verzinsten Bonds in neue 100-jährige und unverzinste Anleihen. 'Freiwillig zwingen' klingt widersprüchlich? Stimmt, aber so ist ja Trumps gesamte Politik. 
    Das Druckmittel der USA wären genau jene Zölle, mit denen Trump jetzt anfängt, und zusätzlich die Drohung, bei Widerstand gegen das Ansinnen den militärischen Schutz durch die USA zu entziehen. De-facto wäre die Operation aber ein Zahlungsausfall des wichtigsten Schuldners der Welt, mit dramatischen Folgen für das gesamte Finanzsystem, für Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter. 
    Man weiß nicht, wie Trump selbst zu den Ideen steht. Aber jeder Schritt, den er in den vergangenen Wochen unternommen hat, folgt genau diesem Drehbuch, das seine Berater entworfen haben. Insofern sollten die Europäer und alle anderen sich zumindest auf dieses Szenario vorbereiten.

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Europa ist Trump nicht hilflos ausgeliefert

Was bedeutet das nun, wie soll Europa auf Trumps Handelskrieg gegen den Rest der Welt reagieren? Die erste Antwort ist: nichts überstürzen, lieber sich Zeit lassen. Die hektischen Reaktionen in Brüssel und Paris in dieser Woche lassen daran zwar Zweifel aufkommen, aber das Beste wäre wahrscheinlich aktuell, die Folgen der Zölle erst einmal auf die Amerikaner und die dortigen Unternehmen wirken zu lassen. Abwarten bedeutet nicht Nichtstun, bedeutet auch nicht Unterwürfigkeit. Aber eben auch nicht: sofort hart vergelten. Denn das ist genau das, was Trump gerne hätte, damit sich seine Spirale aus Chaos und Verunsicherung weiterdreht. Aktuell schaden sich die USA selbst mehr als Europa – warum sollten wir das jetzt durch Gegenzölle ändern?

Die zweite Strategie ist eigene Allianzen schmieden, mit Kanada, mit Mexiko, Lateinamerika, Indien und ja, auch mit China. Ein US-Präsident ist qua Amt mächtig, aber so mächtig ist er auch nicht, dass er allein gegen den Rest der Welt einen Handelskrieg gewinnen könnte. Niemand hindert Europa daran, mit der Welt nach eigenen Regeln weiter Handel zu betreiben. Und sollte Trump das doch versuchen (was er über die Dominanz des Dollar im Welthandel sogar versuchen könnte), ist es umso wichtiger, dass Europa sich auch darauf vorbereitet – indem man versucht, sich in möglichst vielen Bereichen von den USA unabhängig zu machen. Das gilt bei Militär und Waffensystemen ebenso wie im Finanzbereich. 

Wenn Trumps Handelskrieg eines lehrt, dann dies: Dieser Präsident ist gewillt, jede Verflechtung und jede Form der Zusammenarbeit, die bisher als beiderseitiger Vorteil und gegenseitiges Interesse galt, als Druckmittel zu nutzen.

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