Der Guidohof in Sachsen ist ein kleiner Hof mit Biogemüse, Solarstrom und ohne Pestizide. Der Betrieb ist damit prädestiniert für Förderung aus dem European Green Deal. Das finanzstarke Werk der EU-Kommission will soziale, ökologische und wirtschaftliche Faktoren verknüpfen, um nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion kleinerer Betriebe zu fördern. Davon kommt bei Paule Lucht wenig an: "Die Anforderungen an die Förderung werden immer mehr", sagt der landwirtschaftliche Leiter des Guidohofs im "Klima-Labor" von ntv. Er ist überzeugt: Das Höfesterben wird weitergehen.
ntv.de: Sie bewirtschaften den Guidohof. Das ist ein kleiner Biohof?
Paule Lucht: Wir bewirtschaften nur 65 Hektar, sind aber sehr vielseitig in unserem Anbau. Wir bauen unser Gemüse selbst an und auch das Getreide für unsere Bäckerei. Wir haben auch eine eigene Getreidereinigung und -aufbereitung und einen Lieferbetrieb, der die Produkte liefert. Wir sind ein geschlossener Betrieb mit Direktvermarktung. Produkte wie Orangen kaufen wir im Winter zu, damit wir ein Sortiment abbilden können, das man auch im Bioladen bekommt.
In Europa, aber auch Bio?
Ja. Wir arbeiten eng mit Großhändlern zusammen und schauen uns die Betriebe vor Ort an. Uns ist es wichtig, dass wir die Produkte mit einem guten Gefühl verkaufen können.
Das Endergebnis sind Gemüseboxen für Anwohner aus dem Umland?
Wir haben einen Onlineshop, in dem die Produkte frei wählbar sind. Die Menschen können uns auch im Hofladen besuchen und dort einkaufen.
Sind sie profitabel oder auf Subventionen und EU-Gelder angewiesen?
Ich behaupte, dass der größte Teil aller Landwirtschaftsbetriebe auf EU-Gelder angewiesen ist. Das ist ein fester Posten in der Planung, weil die Erzeugerpreise nicht ausreichen.
Landwirtschaft ohne Subventionen funktioniert gar nicht?
Man muss diese Entwicklung im historischen Kontext sehen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man den Menschen erschwingliche Lebensmittel anbieten. Das ist die Basis unserer Agrarpolitik. Speziell in Deutschland sind wir es bis heute gewohnt, sehr günstig einzukaufen. Im Supermarkt kosten die Produkte weniger als in der Herstellung. Jeder, der im Ausland einkaufen war, weiß, dass die Lebensmittelpreise im Verhältnis zu den Einkommen dort wesentlich höher sind. Würden die Agrarsubventionen plötzlich wegfallen, wäre das auch bei uns so.
Wie viel teurer wären Brot oder Eier ohne Subventionen? Können Sie das einschätzen?
Schwer, denn die Agrarsubventionen machen je nach Betrieb einen unterschiedlichen Anteil am Unternehmensgewinn aus. Für große Betriebe mit 4000 Hektar Fläche und mehr sind die eher ein netter Zuschuss. Anders als kleine Betriebe sind sie wegen ihrer Skalierungseffekte nicht darauf angewiesen.
Wäre es dann nicht sinnvoll, ebenfalls in diese Richtung zu gehen? Historisch gesehen werden Agrarbetriebe bereits immer größer.
Diese Frage beschäftigt uns. Aber auch die Gesellschaft muss sagen, welche Landwirtschaft sie haben möchte: Werden die Betriebe größer, werden auch die Bewirtschaftungseinheiten größer. Das bedeutet weniger Biodiversität und Insekten. Dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen. Kleinere Betriebe werden meist auch mit mehr Herzblut bewirtschaftet. Landwirtschaft hat als Branche die höchste Wochenarbeitszeit - mit Abstand. Viele leisten aus Überzeugung mehr, als gesund wäre. Das ist teilweise Idealismus, wirklich etwas Gutes und Sinnvolles zu tun. Kleine Betriebe können natürlich versuchen, ein großes Unternehmen mit branchenfremden Flächeneigentümern wie Autohäusern oder Immobilienfirmen zu werden, die sich eine gewisse Rendite erhoffen. Das ist Praxis bei Großbetrieben. Ich sehe das kritisch.
Landwirtschaftlicher Boden verkommt zum Spekulationsobjekt für Autohäuser?
Gerade im Osten ist das die gängige Praxis. Unsere vier großen Lebensmitteleinzelhändler kaufen über diverse Konstrukte ebenfalls massiv Land auf, um die Preise zu kontrollieren. Dieser Prozess wird durch die großen Bewirtschaftungsflächen sogar beschleunigt, weil sich kleine Betriebe das Land nicht mehr leisten können.
Genau an dieser Stelle setzt eigentlich der Green Deal an: Die EU möchte soziale, ökologische und wirtschaftliche Faktoren verknüpfen und die nachhaltige und vielfältige Landwirtschaft kleiner Betriebe fördern. Der hilft Ihnen nicht?
Diese Förderpläne werden alle paar Jahre neu aufgesetzt und es werden immer dieselben Dinge genannt: Man möchte kleinere Betriebe unterstützen, mehr Geld für Umweltschutz und Umweltleistungen geben. Leider bleibt es meist bei schönen Worten.
Woran hakt es?
Jeder Betrieb, der gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt, bekommt für jeden Hektar pauschal eine Zahlung. Man kann zusätzliche Gelder beantragen, wenn man vielfältige Kulturen anbaut, das Land ökologisch oder sehr kleinteilig bewirtschaftet. Diese Förderanträge werden einmal im Jahr gestellt, die Frist ist der 15. Mai. Für die Beantragung hat jedes Bundesland eine eigene Software. Das erschwert uns die Arbeit bereits, weil der Hof in Sachsen liegt, eine Anbaufläche aber in Thüringen. Also müssen wir uns in zwei unterschiedliche Systeme einarbeiten, die letztlich dasselbe tun. In dieser Software müssen wir alle möglichen Dinge eintragen: die Kulturen, die Nachzucht, die gewählten Förderprogramme, ob sich die Grenzen verschoben haben.
Grenzen?
Ja. Wir bauen Gemüse an. Mit jeder neuen Kultur verschieben sich die Feldgrößen, also müssen wir die Anbauflächen jedes Jahr anpassen: Mal werden sie größer, mal etwas kleiner. Das wird auch kontrolliert. Es hat auch jede Kultur einen eigenen Nutzungscode. Das System ist wirklich sehr kleinteilig.
Gerade weil Sie viele kleine Flächen mit vielen verschiedenen Produkten haben?
Im Grunde sind die unterschiedlichen Förderprogramme eine gute Sache, denn damit wird unsere Arbeit honoriert. Wir sind eigentlich prädestiniert dafür. Aber wir bauen allein 30 unterschiedliche Gemüsekulturen an, im Ackerbau sind es auch sieben oder acht. Durch diese kleinteilige Regelung können wir gewisse Voraussetzungen nicht jedes Jahr erfüllen: Unsere Fläche in Thüringen macht einen so großen Teil der Gesamtfläche aus, dass wir dieselben Kulturen in Sachsen nicht mehr anbauen dürfen.
Wie bitte?
Wir bauen auf einer Fläche in Thüringen alle paar Jahre Kleegras an. Das benötigen im Ökobereich fast alle Betriebe als Tierfutter. Das schützt den Boden auch vor Erosion, fixiert Stickstoff und fördert die Humusbildung. Man muss den Boden anschließend nicht mehr düngen. Kleegras benötigen wir aber auch beim Gemüseanbau auf unserem Hof in Sachsen. Sobald wir es aber in Thüringen anbauen, überschreiten wir einen zugelassenen Prozentsatz und dürfen es in Sachsen nicht mehr anbauen.
Die EU schreibt vor, wie viel man wovon anbauen darf, um eine gewisse Vielfalt beim Anbau zu gewährleisten?
Es gibt Schranken, die man einhalten muss. Uns ist klar, dass Landwirtschaft kompliziert ist. Alle Betriebe, Regionen und Böden sind unterschiedlich. Speziell in unserem Fall führen diese Schranken aber dazu, dass wir nicht mehr von der Förderung profitieren.
Sie würden aber trotzdem nicht nach Brüssel fahren und ihren Mist vor die EU-Kommission kippen?
Bei der Software kommt der Gedanke manchmal auf, aber eigentlich muss man sich wirklich fragen, was man von der Landwirtschaft will: Arbeitsplätze auf dem Land sichern? Dann muss man im Gemüseanbau konkurrenzfähige Strukturen schaffen. Wir sind bei uns im Ort der letzte Betrieb, der das macht. Aber es wird schwieriger, denn Betriebe in anderen Ländern müssen nur Mindestlöhne von sechs Euro zahlen. Wenn es so weitergeht, ist hierzulande über kurz oder lang kein Anbau von Biogemüse mehr möglich. Der deutsche Anteil ist wegen der hohen Produktionskosten bereits auf 30 Prozent zurückgegangen.
Woher kommt diese Konkurrenz? Sind das große Agrarbetriebe?
Große Betriebe diktieren die Preise. Das ist so. Die können enorm günstig produzieren. Beim Gemüse ist unsere Konkurrenz aber spanische Ware. Die Preise für Biogemüse sind stark von den Lohnkosten abhängig. Diese Lohnunterschiede in Europa sind Wettbewerbsverzerrung.
Wenn man möglichst niedrige Preise im Supermarkt haben möchte, sollte man Biogemüse dann nicht nur in Spanien anbauen?
Diese Frage kann man stellen. Wenn die Antwort darauf lautet, dass wir keine Biohöfe in Deutschland wollen und das auch in dieser Klarheit kommuniziert, kann man damit sogar arbeiten. Derzeit gibt es aber eine Diskrepanz zwischen dem, was gesagt und dem, was getan wird: Angeblich möchte man kleinere Betriebe unterstützen. Die können die neuen Fördervoraussetzungen aber gar nicht leisten. Genau das macht viele Landwirte wütend. Aber vielleicht sind wir auch einfach ein spezieller Fall und haben Pech gehabt.
Das klingt deprimierend.
Das ist es auch, weil übersehen wird, welchen Beitrag kleine Betriebe für die Artenvielfalt leisten, wie vielfältig diese Betriebe selbst sind, dass die Form der Landwirtschaft ein Kulturgut ist und regionale Wertschöpfungsketten schafft. In der Politik wird offen über kritische Infrastrukturen diskutiert. Gehört die regionale Ernährung nicht dazu?
Was müsste sich ändern, damit Sie langfristig konkurrenzfähig bleiben?
Bei unserer klein strukturierten Landwirtschaft würde Entbürokratisierung extrem helfen. Politik kann nicht alle Probleme lösen. Gerade die europäische Agrarpolitik ist ein historisch gewachsenes Bürokratiekonstrukt, aber die Anforderungen werden immer mehr und der Aufwand immens. Die Bundesländer haben nicht nur andere Plattformen, sondern auch Regelungen bei Dingen wie der Düngeverordnung. Das ist logisch, weil ein Küstendeich andere Anforderungen hat als eine Fläche in Bayern, aber das verkompliziert alles. Ich erhalte jedes Jahr ein 100 Seiten dickes Buch, in dem die neuen Richtlinien erklärt werden …
Sie klingen nicht besonders hoffnungsfroh.
Wenn man sich mit Menschen aus der Branche unterhält, ist der Optimismus nicht groß. Die Hälfte der Bauernhöfe wird bis 2040 verschwunden sein. Bei diesen Betrieben geht es um Familien, die ihre Kinder ernähren wollen. Wir können uns in unserer Nische mit Direktvermarktung gut halten, aber natürlich weint das Auge, wenn Kollegen ihren Betrieb aufgeben und sagen: Wir schaffen das nicht mehr.
Mit Paule Lucht sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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