Hans-Jörg Butt war vor 25 Jahren eine Sensation. Der damalige Keeper des HSV avancierte zum Bundesliga-Torjäger - und das ausschließlich vom Elfmeterpunkt. Aktuell wandelt Bayerns Stürmer Harry Kane auf den Spuren von Butt - und wird aller Voraussicht nach schon bald einen neuen Rekord aufstellen.
"Es bringt nichts, sich aufzuschreiben, wohin Butt zielt. Der Sauhund schießt sowieso, wohin er will." Schalkes Keeper Oliver Reck hatte es vor 25 Jahren bereits aufgegeben, die irre Trefferquote von HSV-Torwart Hans-Jörg Butt beim Schuss vom Elfmeterpunkt näher zu analysieren. Neun Tore hatte der Keeper des Hamburger SV zu diesem Zeitpunkt Anfang März 2000 schon in der laufenden Spielzeit erzielt und seine persönliche Bilanz auf 17 Tore ohne Fehlschuss ausgeweitet. Erst Jahre später sollte Robert Lewandowski es auf dieselbe Statistik in der Bundesliga bringen. Butt meinte damals äußerst trocken zu seiner besonderen Spezialität: "Elfmeterschießen ist wie Zähneputzen, da denkt man nicht nach."
Das könnte auch das Motto von Harry Kane sein, der erstmals seit 25 Jahren genau wie Hans-Jörg Butt damals neun Elfmeter in einer Saison verwandelt hat. Aller Voraussicht nach wird der Engländer aber sogar noch den ewigen Rekord von Paul Breitner aus der Spielzeit 1980/81 mit zehn verwandelten Strafstößen knacken. Doch zurück ins Jahr 2000. Damals spekulierte man bereits darüber, ob der Keeper des HSV möglicherweise eines Tages einmal zum Torschützenkönig gekürt werden könnte ("Neues vom HSV und Neues von Hans-Jörg Butt, dem Torjäger, der einfach zu wenige Treffer aus dem laufenden Spiel herausschießt", Kommentator Michael Pfad). Schließlich waren den Hamburgern eine Saison zuvor 14 Elfmeter zuerkannt worden - und scheinbar ließ sich diese Quote auch noch steigern, wie Kaiserslauterns Torwart Uwe Gospodarek leicht neidisch anmerkte: "In letzter Zeit kriegt Butt sehr viele Elfmeter geschenkt!"
100 Meter bis zum Tor
Und auch Ulms Trainer Martin Andermatt konnte sich eine kleine Spitze nicht verkneifen: "Die Schiedsrichter haben Freude daran, dass Butt bei Elfmetern anläuft." Doch Anlaufen ist das eine, Treffen das andere. Und Butts Treffsicherheit war schon äußerst beeindruckend. Schiedsrichter-Sprecher Manfred Amerell ahnte damals, wie sich diese tolle Quote erklären lassen könnte: "Wenn es Elfer gibt, ist oft Theater. Da wird reklamiert, man gibt den Ball nicht raus. Und, und, und. Bis der Butt vorn ist, hat der Schiedsrichter die ganze Sache unter Kontrolle. Er ist der einzige Elfmeterschütze, der kommt, und der Ball liegt schon auf dem Punkt."
Butt selbst meinte später einmal rückblickend dazu: "Meine Art, einen Elfmeter zu schießen, hing damit zusammen, dass ich wusste, wie ein Torwart reagiert. Ich habe versucht, den Torwart auszugucken, und auf dessen Reaktion gewartet. Ich wusste als Torwart, dass ein einigermaßen platziert geschossener Ball aus elf Metern nicht mehr zu erreichen ist, wenn der Torwart stehen bleibt, bis der Schütze schießt. Dazu ist die Reaktionszeit zu kurz." Als er noch aktiv spielte, hatte er sich als Erklärung in einen Scherz geflüchtet: "Die 100 Meter sind so anstrengend für mich, da kann ich gar nicht großartig nachdenken."
Als Mike Hanke den Konter setzte
Dass genau diese Entfernung zum eigenen Kasten einmal zum Problem werden könnte, darüber spekulierte man auch bereits im Jahr 2000. Die Trainer der gegnerischen Mannschaften bereiteten ihre Teams auf den Fall eines Fehlschusses von Hans-Jörg Butt mit taktischen Ausrichtungen für einen Konter vor. Doch auch der HSV stellte die eigene Mannschaft speziell auf, um sofort darauf reagieren zu können, ohne Keeper im Tor die heikle Situation zu überstehen. Butt selbst hingegen machte sich darüber keine speziellen Gedanken. Auf entsprechende Fragen antwortete er nur knapp: "Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich gehe nicht davon aus, dass ich einen Elfmeter verschieße."
Und tatsächlich sollte Butt diese Sorglosigkeit noch einholen - allerdings in einer Situation, die man sich so vorher nicht ausgemalt hatte. Genau deshalb wurde sie auch zu einem der legendärsten Bundesligamomente. Denn in der Saison 2003/04 gelang dem Schalker Mike Hanke beim Spiel des FC Schalke 04 gegen Bayer Leverkusen zu Hause in der Arena Auf Schalke ein spektakulärer Treffer gegen Hans-Jörg Butt. Nachdem der damalige Bayer-Keeper einen Elfmeter für seine Mannschaft wie gewohnt sicher im Tor des Gegners versenkt hatte, trabte er gemächlich zurück in seinen Kasten. Unterwegs nahm er freudig die Glückwünsche seiner Teamkollegen entgegen, winkte in aller Ruhe in die Kurve der Bayer-Fans und reckte seine geballten Fäuste gen Himmel.
Unfassbare Elferstatistik eigentlich noch verrückter
Schalkes Mike Hanke verfolgte Butts Jubel staunend am Mittelkreis. Zusammen mit Ebbe Sand sollte er den Anstoß ausführen, doch sein Mannschaftskamerad hatte es nicht eilig. Er war noch dabei, seine Kollegen aufzumuntern, und achtete selbst nicht auf Butt. Ganz anders Mike Hanke. Nervös fixierte er den Leverkusener Torwart, sah immer noch nur seinen Rücken und dachte sich auf einmal: Jetzt muss irgendjemand mal schießen. Und dieser Irgendjemand sollte am besten den Ball direkt auf den Kasten von Butt ballern.
Und da der unaufmerksame Ebbe Sand ausschied, tippte Hanke die Kugel kurz an Sands rechtes Bein und haute dann von dort den Ball in die Gelsenkirchener Luft. Das Leder flog wunderschön, immer weiter, über Butt und seine Mannschaftskameraden hinweg, tickte im Fünfmeterraum noch einmal auf und landete dann schließlich und endlich tatsächlich im Tor der Leverkusener. Butt erzählte hinterher im Fernsehen, er sei "irgendwie aufgehalten worden" - und damit hatte er ja auch irgendwo sogar Recht.
Es sollte übrigens bei diesem einen Fehltritt bleiben. Am Ende seiner Karriere hatte Butt nicht nur 26 Tore per Elfmeter verwandelt, sondern auch selbst 14 Strafstöße abgewehrt. Eine Statistik, die auch heute noch, nach über 60 Jahren Bundesliga ihresgleichen sucht.
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