Was passiert mit Fußballern, wenn die Scheinwerfer ihre Leben nicht mehr ausleuchten. Der ehemalige Nationalspieler Thomas Brdaric kann davon erzählen, wie kaum ein anderer. Der 50-Jährige war in Belarus, Kuwait, Taschkent, Indien und trainiert nun in Albanien. Er kämpft um seinen großen Traum.
Ach, du süße Nostalgie. Was wären wir ohne sie? Sie bringt uns zusammen, lässt uns miteinander reden und manchmal sogar zu unserem Antrieb werden. Der Fußball kann das ganz gut. Der ist Nostalgie und Gegenwart. Er war immer da. Er ist ewiger Begleiter. Das, was beim Fußball passiert, geht über in die Erinnerung. Deswegen ist der Fußball so begehrt.
Das was war, bleibt in den Herzen der Menschen. Fußballfans sind vereint in der Nostalgie. Die Protagonisten der Vergangenheit aber frieren nicht ein, sie leben weiter, sie machen weiter und sorgen wieder und immer wieder für neue Momente, die dann in die kollektive Erinnerung eingehen. Nicht allen gelingt das. Und das lässt sie umso leidenschaftlicher um ihren Platz kämpfen.
Von Steinbach bis Taschkent
"Ich bin in der Vergangenheit öfters mal anders abgebogen", sagt Thomas Brdaric vor einer Smartphone-Kamera in Albanien sitzend. "Ich bin trotzdem immer wieder auf meinen Weg gekommen. Auch, wenn der mit vielen Umleitungen versehen war. All die Erfahrungen, die ich auf diesem Weg gemacht habe, sind alle wunderschön." Der 50-Jährige ist einer dieser Protagonisten der Vergangenheit. Er ist bekannt aus der Zeit, als der moderne Fußball laufen lernte. Er war der Stürmer, der rannte, der wühlte, der mit Tempo nach vorne preschte und nervte. Der immer knapp scheiterte. Der nicht Trophäe an Trophäe reihte, aber für eine Ära des Spiels steht, die im durchchoreografierten Spiel der Gegenwart verklärt wird.
Brdaric will sich nicht damit zufriedengeben, dass er nur Teil dieser Vergangenheit ist. Er will die Zukunft mitgestalten. Weg war er, wenn man genauer hinschaut, nicht. Er war in Minsk und in Taschkent, er war in Solingen und Erfurt, er war in Indien und Kuwait, er war in Neustrelitz und in Steinbach. Dort, wo er in Deutschland arbeitete, erzielte er einige Erfolge. Mit Neustrelitz spielte er die beste Saison der Vereinsgeschichte, auch in Wolfsburg spielte er ein erfolgreiches Jahr mit der zweiten Mannschaft. Doch bis ganz nach oben reichte es nie. Immer war etwas. Anders im Ausland. Als er zum ersten Mal in Albanien war, wurde er dort Trainer des Jahres. Über seine Zeit in Indien hat er ein Buch geschrieben.
Für jede Aufgabe gibt es eine Lösung
"Wenn du einmal ins Ausland gegangen bist, ist der deutsche Markt immer schwieriger zu erreichen. Ich habe ganz am Anfang den Sprung als Trainer in den deutschen Profifußball verpasst. Es kommen immer wieder neue Trainer nach. Ich bin in einer Position, in der ich es kann, doch der Weg durch das Nadelöhr ist mysteriös."
Der Weg durch das Nadelöhr ist nicht nur mysteriös, manchmal ist er auch erschreckend eng. So eng, dass Zeit vergehen muss, bis der richtige Weg gefunden wird. So viel Zeit, dass aus einem Kandidaten für den deutschen Profifußball erstmal ein anderer wird. Einer, der die Welt bereist und Anekdoten sammelt, die er dann in seiner Heimat verteilt. "Weltbummler. Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen", sagt Brdaric.
"Ich lasse mich nicht als Weltenbummler bezeichnen. Dafür investiere ich zu viel." Das Bummeln in Weltenbummler löst etwas aus. Denn er schaut sich immer um, wächst an den Aufgaben, die ihm gestellt werden. Wenn Ramadan ist, dann ist das so. "Ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich gebe den Spielern Lösungen mit auf den Weg. Die sportliche Leistung ist in der Zeit eine andere. So liegen nun mal die Dinge."
Die kuriosen Regeln des albanischen Fußballs
So liegen die Dinge, an dem Ort, an dem er jetzt ist. In Shkodra, einer idyllischen, von den Albanischen Alpen gesäumte, am Ufer des Skutarisees gelegenen Stadt im Norden Albaniens. Brdaric trainiert dort bereits zum zweiten Mal den Traditionsklubs F.K. Vllazina. Er führt den Klub auch in dieser Saison in den Kampf um die Meisterschaft, der kurioser nicht sein könnte. Als er im vergangenen April in das Land zurückkehrte, in dem er schon einmal wirkte und sogar Trainer des Jahres wurde. Weil dieses Land aber Albanien ist, und eines eben jener Länder, in dem auch von der UEFA Dinge getestet werden, die niemals über dieses Teststadium hinauskommen, ist die Welt dort etwas komplizierter.
Nur zehn Mannschaften spielen in der ersten Liga, der Kategoria Superiore. Die zehn Klubs treten insgesamt vier Mal gegeneinander an. Nachdem jedes Team 36 Spiele absolviert hat, geht es für die besten vier Klubs in die Final Four. Platz eins spielt gegen Platz vier und Platz drei gegen Platz zwei. Der Sieger erreicht das Finale und der Sieger muss nicht einmal gewinnen. Der in der Ligaphase höher platzierten Mannschaft genügt ein Unentschieden nach 90 Minuten, um das Finale zu erreichen. "Schon im ersten Jahr waren die Tücken und Schwächen dieser Idee zu erkennen. Aber der Verband hat daran festgehalten."
"Das ist so typisch Albanien"
Möglicherweise wird F.K. Vllaznia dann wieder von Rang drei in die Final Four gehen Bei noch sechs ausstehenden Spielen halten sie aktuell eben diesen Platz. Brdaric hofft, dass es nicht wieder ins Trainingslager nach Golem geht. Denn das muss er nicht noch einmal haben. Er wollte sein Team auf das Halbfinale gegen KF Egnatia vorbereiten und geriet mitten in das Albania Afro Latin Festival. "14 Stunden permanenten Mucke, wie am Ballermann. Nach Mitternacht habe ich dann mal den Computer aufgeklappt. Dann habe ich den Plan gemacht für das Spiel. Der ganze Stress ist abgefallen. Wie soll es dann erst den Spieler gehen, wenn den ganzen Tag nur diese Mucke läuft. Und was ist passiert? Nuancen haben das Spiel entschieden. Unentschieden. So sind wir dann rausgeflogen. Das ist so typisch Albanien."
Das ist Albanien. Und auch sonst sind die Bedingungen nicht optimal. Alles ist immer nur eine Annäherung an den Optimalzustand. Es gibt Plätze, wenn es die gibt, die machen ihm zu schaffen. "Ich will mit wenigen Kontakten spielen. Ich will variabel spielen. Schnelles Umschaltspiel. Alles das, was mich schon als Spieler auszeichnete", sagt er. "Aber auf vielen Plätzen hier ist das Spielen mit ein, zwei Kontakten gar nicht möglich." Ob er im Sommer weitermacht, ist offen. Die nächste Aufgabe wartet dann irgendwann und irgendwo. Das nächste Team, das von Brdarics Liebe zum hohen Pressing profitieren soll, das all die Tore bejubeln soll. "Im Profifußball hast du keine Zeit. Du kannst nur im Erfolg entwickeln. Du musst die 18-jährigen, die 19-jährigen, die 20-jährigen Spieler reinwerfen. Du musst den Spagat schaffen. Spieler entwickeln, Titel holen. Du hast nie Zeit." Weiter das Anrennen gegen das Vergessen. Weiter der Kampf durch das Nadelöhr.
Oliver Kahn führte Brdaric vor
Damit Brdaric nicht der bleibt, der lange Zeit da war und der nicht für das, was er erreicht hat, sondern für das, was Oliver Kahn mit ihm gemacht hat, in Erinnerung geblieben ist. Der Titan hatte ihn einst seine Pranken in den Nacken gedrückt und den damaligen Stürmer von Bayer Leverkusen in Richtung Boden gerammt. Es war September 2002 und weil Kahn Kahn war, sah nicht nur er, sondern auch Brdaric die Gelbe Karte. Immerhin hatte der es gewagt, Kahn zu verärgern. Wenig später flog der Stürmer mit Gelb-Rot vom Platz. Dass das Spiel gewonnen wurde, daran erinnerte sich niemand mehr. Dass Brdaric von "Todesangst" sprach und ein Jahr später ein Lied darüber aufnahm, daran erinnern sich schon ein paar Menschen mehr.
Was dann nach dem Karriereende in 2008 nach fast 400 Profispielen und beinahe 100 Toren für Bayer Leverkusen, Fortuna Köln, Hannover 96, Fortuna Düsseldorf, den VfL Wolfsburg und dem VfB Stuttgart folgte, ist nur noch Insidern bekannt. Der Rest wartet auf den Auftritt in der "Was macht eigentlich …"-Kolumne des Sterns. Das reicht den wenigsten Menschen.
Als eine Spritze Leverkusen in Schockstarre versetzte
"Ich war früher halt immer da", sagt Brdaric. "Ich bin ein Kind der Bundesliga. Vom meinem ersten bis zu meinem letzten Tag als Spieler. Ich habe 14 Jahre auf höchstem Level gespielt. Und klar, manchmal ist man der Held und manchmal ist man in der Opferrolle. Das ist doch völlig klar. Besonders als Stürmer. Ich habe mir nicht alles gefallen lassen. Nicht auf dem Platz und nicht daneben. Ich habe meine Meinung gesagt - und das war auch nicht überall gern gesehen."
Das Kind der Bundesliga scheiterte immer knapp. Er war Teil der legendären Leverkusener Mannschaft von Klaus "Toppi" Toppmöller. Die im Finale der Saison 2001/2002 alle Titel wegwarf und die damit auf Jahrzehnte den Vizekusen-Mythos begründete.
Als die Saison in das Finale ging, war Brdaric außen vor. Dabei hatte er beim 4:2 von Deutschland gegen die USA am 27. März 2002 gerade erst sein Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert. Doch dann, sagt der ehemalige Stürmer, sei alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Es war Frühling, alles blühte, auch die Birken. "Ich hatte Atemnot, Erkältungssymptome. Der Arzt hat mir was gespritzt und dann hat Toppi mich gegen den HSV einfach nicht eingesetzt. Es hieß, ich habe Volon A in mir und das stand damals auf der Dopingliste. Das war ein Schockmoment. Leverkusen war unter Schock. Ich war unter Schock."
Als der Schockmoment endete, war Borussia Dortmund Meister, Schalke 04 hatte den DFB-Pokal in den Berliner Himmel gestemmt und Real Madrid die Champions League gewonnen. Thomas Brdaric flog nicht nach Asien, um an der WM teilzunehmen.
Wieder so eine Anekdote. Wieder so Momente, die immer bleiben werden. Die sich in die Geschichte des deutschen Fußballs eingebrannt haben. Wenn es nach Brdaric geht, sollen weitere folgen. Der Weg aus der Vergangenheit in die Zukunft ist ein langer. "Ich bin Trainer. Ich möchte dort, wo ich die Möglichkeit bekomme, erfolgreich sein", sagt Brdaric. "Deutschland ist noch nicht ad acta gelegt. Ich kämpfe für meine Chance. Aber wenn es nicht Deutschland ist, dann werde ich woanders meine Chance bekommen." Genug der süßen Nostalgie.
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