Bei einer Razzia in gleich vier Bundesländern findet die Polizei allerlei Waffen. Sie richtet sich gegen mutmaßliche Anhänger der Drittligisten Hansa Rostock und Rot-Weiss Essen. Polizei-Gewerkschaftsboss Michael Mertens warnt bei ntv.de vor den Abhängigkeiten, in die sich der Fußball gebracht hat.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, hat den Fußball aufgefordert, sich von der Abhängigkeit von den Fans zu lösen. Das sagte er ntv.de als Reaktion auf die Razzia der Bundespolizei gegen mutmaßliche Gewalttäter aus den Fangruppen der Fußball-Klubs Hansa Rostock und Rot-Weiss Essen. Mertens meint damit: Der Fußball müsse seine Vereinsstrukturen überdenken. Er warnte davor, dass diese Gewalt begünstigen.

Rund 450 Bundespolizisten waren laut Medienangaben bei der Razzia im Einsatz und vollstreckten Durchsuchungsbeschlüsse für 31 Wohnungen und andere Räume in vier Bundesländern. Alle 31 Verdächtigen waren dabei der Polizei bereits wegen Gewalt und Straftaten in der Fanszene bekannt, erklärte eine Sprecherin gegenüber der dpa. Die Fangruppen der beiden Drittligisten sollen sich gezielt und konspirativ für den 26. Oktober 2024 zu der gewalttätigen Auseinandersetzung an einem mit 780 Personen, darunter Familien und Kinder, besetzten Sonderzug aus Essen in Richtung Rostock verabredet haben. In Brandenburg war der Zug durch eine Notbremsung gestoppt worden. Essener Fans seien ausgestiegen und hätten sich dort mit den Rostocker Fans eine Schlägerei geliefert.

Bei der Razzia habe die Polizei zwei Kugelbomben in Essen und eine "Übungshandgranate" in Rostock gefunden. Zudem seien in Essen eine Schreckschusspistole, ein Butterfly-Messer sowie eine Luftdruckwaffe mit Prüfzeichen gefunden worden. Wenig überraschend für den Polizeigewerkschafter Mertens, der ankündigt, dass die Ermittlungen noch mehr zutage befördern werden. "Wenn die Ermittlungsergebnisse zur heutigen Razzia vorliegen, wenn die Daten auf den Handys ausgewertet sind, wird man feststellen, dass es schon längst nicht mehr um Fußball geht", sagt Mertens, der auch GdP-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen ist. Er zeichnet ein dunkles Bild vom Zustand einiger Fangruppierungen in Deutschland.

Das Beispiel Aachen

"Teile der Fanszene driften in ein kriminelles Milieu ab. Dort bestehen gewalttätige Strukturen. In den Fanszenen gibt es straffällige Menschen, zum Teil mit Verbindungen in das Rotlichtmilieu", warnt Mertens. "Die Ermittler haben da einen genauen Blick drauf. Das sieht man nicht nur an dem Beispiel der heutigen Razzia, das zeigt auch der gerade in Aachen laufende Prozess gegen den ehemaligen Hooligan Kevin P., der Verbindungen bis in die Vereinsspitze hatte."

Vor dem Landgericht Aachen muss sich seit Mitte Februar Kevin P. verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm verschiedene Delikte vor, unter anderem versuchten Totschlag. Der bekennende Hooligan soll dabei eine seiner Taten von einer Überwachungskamera abgefilmt haben und dieses Video dann auch an Alemannia Aachens Trainer Heiner Backhaus und den Aufsichtsratschef Marcel Moberz gesendet haben. Backhaus bestätigte vor Gericht, dass er das Video erhalten habe. Er habe es sich jedoch nicht angeschaut, sagte er bei seiner Vernehmung als Zeuge im Februar. Der Drittligist steht nicht zum ersten Mal für seinen Umgang mit den eigenen Fans in den Schlagzeilen.

Immer Ärger in Rostock

Auch Hansa Rostock schreibt immer wieder aufgrund seiner Fans Schlagzeilen. Nach den Vorfällen im vergangenen Oktober hatten gleich fünf Aufsichtsräte des Traditionsklubs aus Mecklenburg-Vorpommern ihren Rücktritt erklärt. "Beispielhaft sind Ereignisse aus jüngster Vergangenheit wie eine Attacke auf einen Personenzug mit anreisenden Gästefans, rassistische Entgleisungen, Diskriminierungen und schlussendlich die gezielte Diffamierung eines Aufsichtsratsmitgliedes im Stadion", hatten sie erklärt.

"Der Rücktritt der Aufsichtsräte in Rostock im Oktober war ein starkes Zeichen. Beide Vereine müssen jetzt interne Konsequenzen ziehen, diese müssen für die Öffentlichkeit sichtbar sein", fordert Mertens nun. "Aber auch die DFL ist gefragt und in dem Fall, es handelt sich um die 3. Liga, ist auch der DFB gefragt. Sie alle müssen Konsequenzen ziehen und sich von den Straftätern im Stadion verabschieden. Der Fußball ist nicht mehr sicher."

Nach Krawallen zwischen Anhängern von Hansa Rostock und Dynamo Dresden im Februar hatte auch Mecklenburg-Vorpommerns Sportministerin Stefanie Drese harte Strafen für die "asozialen Täter" gefordert. Für sie seien "langfristige Stadionverbote wie auch die Beteiligung an entstandenen Schäden eine geeignete Möglichkeit, um identifizierte Straftäter zur Rechenschaft zu ziehen", hatte sie der dpa gesagt.

Kritik an den Vereinsstrukturen

Ein großes Problem im deutschen Fußball seien die Strukturen der Vereine, sagte Mertens. Um dem Problem der Gewalt im Fußball langfristig entgegenzuwirken, müssten diese überarbeitet werden, fordert der Gewerkschaftler. "Wir müssen alle überlegen, ob die Vereinsstrukturen im Fußball derartige Vorfälle begünstigen, und unsere Schlussfolgerungen daraus ziehen", sagte der Gewerkschafter. "Die Führungspositionen werden nach Wahlen besetzt. Die Fanszenen engagieren sich mehr als andere und besetzen damit bei den Wahlen die Ämter mit ihren Kandidaten. Daraus entsteht eine Abhängigkeit. Die ist unerträglich. Das muss sich ändern." Wie diese Änderungen aussehen sollen, lässt Mertens offen.

Mertens persönlich, sagt er, habe jedoch bereits Konsequenzen aus den Vorfällen gezogen. "Als Großvater würde ich mich mit meinen Enkelkindern nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Fußball begeben. Das ist mir zu gefährlich", sagt er.

Zahlreiche Gegenbeispiele in der Bundesliga

Dass die Verbindungen der Fanszene mit den Vereinsgremien keineswegs zwangsläufig zu mehr Gewalt führen, zeigen zahlreiche Beispiele in der jüngeren Geschichte des deutschen Profi-Fußballs. Das wohl prominenteste Beispiel dabei ist die zumindest teilweise Rückeroberung des aktuellen Zweitligaklubs Hertha BSC. Der Hauptstadtklub hatte sich über lange Zeit von seinen Anhängern entfremdet, war nur durch Misswirtschaft aufgefallen und hatte sich erst unter dem im vergangenen Jahre verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein wiedergefunden.

Bernstein war einer der ersten Ultras im deutschen Fußball. In Berlin war er der Mitbegründer der Ultra-Organisation Harlekins. Er hatte nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn in der Kurve den Marsch durch die Institutionen angetreten. Als eines der größten Verdienste der Berliner Ultraszene hatte Bernstein im Sommer 2023 im Gespräch mit ntv.de das Verdrängen rechter Strukturen im Stadion bezeichnet.

"Wir müssen uns nur zurückerinnern, wie Hertha in den 80er Jahren und auch in den frühen 90er Jahren war, wie dort die Fanszene geprägt war: Wir hatten das U-Bahn-Lied, die Affenlaute, die NPD hat Flyer vor dem Stadion verteilt", hatte Bernstein gesagt. "Wenn man sieht, wie bunt, lebendig und vielfältig Hertha heute ist, dann haben wir einen entscheidenden Teil dazu beigetragen."

Ähnliche Beispiele gibt es in zahlreichen anderen Klubs in Deutschland. Auch die größten Vereine des Landes, FC Bayern München und Borussia Dortmund, entwickeln immer wieder aus den Fanzsenen heraus neue Ansätze im Kampf gegen Antisemitismus und rassistische Strukturen auf den Tribünen.

Daniel Lörcher, ehemaliger Vorsänger auf der legendären Dortmunder Südtribüne, ist einer der Hauptverantwortlichen des Klubs für das erst im November 2024 mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnete Engagement der Borussia gegen Antisemitismus.

Was die Statistik sagt

Die Polizei hat in der vergangenen Saison rund um Fußballspiele von der 1. bis zur 3. Liga 7351 Straftaten gezählt. Das sei ein Anstieg von 12,2 Prozent im Vergleich zur Saison 2022/2023, heißt es in dem im Oktober 2023 veröffentlichten Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS). Auch die Zahl der Verletzten nahm demnach zu.

Laut dem Bericht wurden in der letzten Saison rund um Begegnungen der ersten drei Ligen 1338 Personen verletzt (plus 13,8 Prozent), darunter 306 Polizeibeamte und 160 Ordnungskräfte. Bei denen habe sich die Zahl sogar fast verdoppelt, heißt es im ZIS-Bericht. Die Anzahl verletzter Unbeteiligter (617) sei mit minus 1,3 Prozent "marginal rückläufig". Im August 2024 waren "insgesamt fast 600 bundesweit wirksame Stadionverbote in Kraft".

In die Zahlen des ZIS fließen auch die bei Polizeieinsätzen durch den Einsatz von Pfefferspray verletzten Einsatzkräfte und Fans ein. In der Saison vor der Europameisterschaft in Deutschland war es vermehrt zu Polizeieinsätzen in den Stadien gekommen. Dies ließ aufseiten der Fangruppierungen den Eindruck entstehen, dass die Polizei sich auf mögliche Einsätze während der EM vorbereite. Bei dem Turnier im Sommer 2024 blieb es dann weitgehend ruhig.

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