Selten wurde ein neues Auto derart zum Hoffnungsträger stilisiert wie der CLA von Mercedes-Benz. Mit dem Fahrzeug will der Autohersteller in diesem Jahr „ein neues Kapitel“ einläuten, Mercedes verspricht „neue Maßstäbe bei Reichweite, Effizienz und Ladegeschwindigkeit“. Das tönt nach Revolution. Tatsächlich ist mit dem CLA ein Umbruch verbunden.
Allerdings nicht nur mit der prominenten Elektroversion, sondern auch bei der Hybridvariante, die es entgegen früheren Ankündigungen auch geben wird. Sie wird einen Motor unter der Haube haben, der nicht von Mercedes-Benz gebaut wird. Sondern von einem Unternehmen namens Horse Powertrain.
Für den neu geformten Motorenhersteller mit Sitz in London könnte der Mercedes-Antrieb zu einem Aushängeschild werden. „Natürlich gibt es eine gewisse Exklusivität in Bezug auf die Entwicklung und die Vereinbarungen mit Mercedes“, sagt Matias Giannini, der Chef von Horse Powertrain, im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. Viele technische Elemente fänden sich aber auch in anderen Motoren. „Weil wir die jahrzehntelange Entwicklung mehrerer Autohersteller kombinieren, deckt unser aktuelles Produktportfolio mehr als 80 Prozent des heutigen Marktbedarfs ab“, sagt Giannini.
Horse ist ein globaler Riese der Motorenproduktion. Das Unternehmen hat 17 Werke auf drei Kontinenten, fünf Entwicklungszentren und 19.000 Mitarbeiter. Es verbindet die früheren Motorenwerke der Automarken Renault, Volvo und dessen chinesischer Mutter Geely. Außerdem gehören deren Entwicklungsabteilungen für Diesel, Benzin und Hybridmotoren dazu.
Mercedes hatte vor vier Jahren die Entwicklung und Produktion seiner Hybridmotoren mit Geely in China zusammengelegt. Auch das ist nun Teil von Horse Powertrain. Eigentümer des Unternehmens sind zu je 45 Prozent Renault und Geely, die restlichen zehn Prozent gehören dem staatlichen Ölriesen Aramco aus Saudi-Arabien.
Für Giannini ist klar, dass diese Marken als Abnehmer für Horse-Motoren erst der Anfang sind. „Wir sind momentan in Gesprächen mit allen großen Autoherstellern“, sagt der aus Brasilien stammende Manager. Es gehe dabei nicht nur um die Lieferung von Motoren. „Wir sind bereit, mit den Herstellern an verschiedenen Lösungen zu arbeiten, je nachdem, was sie brauchen. In einigen Fällen kann es sich um die Zusammenlegung von Fertigungskapazitäten handeln, um deren Auslastung zu maximieren. Es könnte auch darum gehen, das Produktportfolio zu kombinieren, einige Motoren auslaufen zu lassen und andere einzuführen“, sagt Giannini.
Die Logik des Unternehmens: Wenn die großen Autohersteller ihre Baureihen zunehmend auf Elektroautos umstellen, lohnt es sich für den einzelnen immer weniger, Verbrennungsmotoren zu entwickeln und zu bauen. Die Horse-Mutter Renault hat diese Entwicklung mit einem drastischen Schritt vorweggenommen und sich in zwei Unternehmen aufgespalten. Der E-Auto-Teil des Konzerns firmiert unter dem Namen Ampere, die traditionellen Motoren sind inklusive Fabriken in Horse aufgegangen. Zuvor hatte bereits Volvo seine Verbrennerproduktion mit Geely zusammen in ein Unternehmen namens Aurobay ausgelagert – auch das ist nun Teil von Horse International.
Anders als für den einzelnen Autohersteller sollen die Motoren für Horse ein Wachstumsgeschäft werden, allein schon, weil permanent neue Kunden dazukommen. In seinem Heimatland Brasilien hat Giannini einen Vertrag mit dem Start-up Lecar geschlossen, dem ersten Elektroautohersteller des Landes.
Die Wagen sollen zusätzlich zum E-Motor mit einem sogenannten Range Extender ausgestattet werden, den Horse liefert. Dieser kleine Generator lädt unterwegs die Batterie und sorgt so für eine Reichweite von 1000 Kilometern – in Brasilien ein wichtiges Verkaufsargument. Statt mit fossilem Benzin fährt man in dem Land mit Ethanol aus Zuckerrohr, was zu einer deutlich günstigeren Klimabilanz führt.
Der Horse-Chef stellt sich darauf ein, dass Fahrzeuge mit Verbrennern noch viele Jahrzehnte auf der Welt unterwegs sein werden – selbst, wenn sie außerhalb seines Büros in London nicht mehr neu zugelassen werden dürfen. Wie in der EU gilt auch in Großbritannien eine Regel, nach der Neuwagen ab 2035 im Betrieb kein CO₂ mehr ausstoßen dürfen. Dieses Verbrennerverbot will die größte Fraktion im Europaparlament (EVP) nun kippen.
Wachsendes Geschäft
Setzt sie sich durch, kann sich der Motorenhersteller wohl auf noch stärkeres Wachstum einrichten. Denn eine Umkehr des Wandels hin zum Elektroauto erwartet selbst Giannini nicht. „Wir glauben, dass die Elektromobilität der richtige Weg zur Dekarbonisierung ist. Aber sie allein wird nicht reichen“, sagt er. „Bis 2035 oder 2040 wird noch weit mehr als die Hälfte der Fahrzeuge Verbrennungsmotoren nutzen. Jemand muss dafür sorgen, dass diese Fahrzeuge mit der besten Technologie ausgestattet werden, um die Dekarbonisierung voranzutreiben.“
Die Palette umfasst nicht nur klassische Motoren und den besagten Range Extender, sondern auch sogenannte Mild-Hybride mit elektrischem Startgenerator und Hybridmotoren wie dem Antrieb des künftigen CLA. Mercedes setzt erstmals dieses Konzept ein, das bekannt ist aus dem Toyota Prius, der 1997 auf den Markt kam. Das Auto kann in der Innenstadt elektrisch fahren, die kleine Batterie an Bord wird beim Bremsen aufgeladen (Rekuperation).
Aus Sicht von Giannini, der früher unter anderem beim Zulieferer Continental und dessen Abspaltung Vitesco gearbeitet hat, ist Horse eine Wachstums-Story. Zunächst durch weitere Übernahmen von Motorenwerken und Entwicklungszentren von Autoherstellern. Dann aber auch durch Wachstum außerhalb Europas. „Selbst wenn wir akzeptieren, dass die Zahl der Motoren in Europa zurückgehen wird, besteht die Möglichkeit, weiterhin Innovationen zu entwickeln und beispielsweise reine Verbrenner durch hocheffiziente Hybride in anderen Teilen der Welt zu ersetzen“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass unser Produktionsvolumen auf globaler Basis zurückgehen wird, auch wenn es in einzelnen Regionen anders aussehen könnte.“
Besonders einen Markt will er zügig erschließen: „Die USA sind einer der größten Märkte der Welt und sie werden 70 bis 80 Prozent Verbrenneranteil bis 2030 haben. Langfristig rechne ich mit mehr als 50 Prozent. Deswegen ist es sehr logisch, dass wir dort Partner suchen“, sagt Giannini. Bisher gibt es in dem Land kein Werk von Horse Powertrain.
Aber: „Wir führen mit mehr als einem der nordamerikanischen Autohersteller konkrete Gespräche. Es ist aber zu früh, darüber etwas zu sagen.“ Fremd seien die USA seinem Unternehmen allerdings nicht. Denn jeder Volvo-Motor in dem Land kommt aus einem Horse-Werk. Künftig wird das auch für die Motoren neuer Mercedes-Modelle gelten.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke