Der FC Bayern München und Thomas Müller tun in diesem Sommer etwas, was irgendwann einmal unvermeidlich sein musste, aber für das es nie den perfekten Zeitpunkt gibt. Müller geht und hinterlässt Fußabdrücke, die wohl niemand jemals füllen kann.

In diesem Sommer endet etwas, für das kein Ende vorgesehen war. Thomas Müller verlässt den FC Bayern. Nach 25 gemeinsamen Jahren gibt es keinen neuen Vertrag für den 35-Jährigen. Es musste irgendwann so kommen, auch wenn niemand das jemals wahrhaben wollte. Sportlich war Müller spätestens in dieser Saison so an den Rand gedrängt worden, dass selbst der große Fußball-Houdini sich nicht mehr befreien konnte. Der Mann, der auf dem Feld nie zu greifen war, durfte immer weniger dort sein, wo er am liebsten ist: auf dem Feld.

In den vergangenen Wochen wurde die Zukunftsfrage der Vereinsikone zu einem immer unwürdigeren Theater. Der Fall Thomas Müller hatte die Dimension einer nationalen Angelegenheit angenommen. Hinz und Kunz, Hans und Franz, Thilo und Albert, Dembowski und Dimpfelhuber meldeten sich zu Wort und sagten, was Phase ist. Nur Müller und der immer genervtere FC Bayern hielten sich bedeckt. Die Berichterstattung wurde wochenlang geflutet mit Durchstechereien und Indiskretionen. Wie konnte sich der "Kicker" zuletzt so sicher sein, dass es vorbei ist? Laut "Spiegel" kam die Information direkt aus dem Aufsichtsrat. Dort sitzen mächtige Männer. Wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Man konnte also davon ausgehen, dass die Information zu Müllers Aus im Sommer, wer auch immer sie weitergegeben hat, sehr viel Gewicht hat. Das Schauspiel schaffte viele Verlierer.

Den Klub und seine Verhandler, die die Hoheit über die Personalie verloren hatten. Und Müller selbst, dem nach dieser großen, auf seine Art und Weise einzigartigen Zeit beim Rekordmeister die würdige Bühne für seinen Abgang genommen worden war. Schaden hat jetzt aber vor allem der ohnehin schon im Mittelpunkt kritischer Berichte stehende Sportvorstand Max Eberl genommen, der nach den teuren Vertragsverlängerungen der Zukunftsspieler Jamal Musiala, Alphonso Davies und Joshua Kimmich vehement zum Sparen gezwungen wird. Eberl ist nun auf ewig der Mann, der die Ikone Thomas Müller aus dem Verein befördert hat. Gegen dessen Willen.

An diesem Samstag fiel der letzte Vorhang in diesem unwürdigen Schauspiel, Müller verkündete offiziell die Trennung. Und die offenbart tiefe Risse, die sich auf den letzten gemeinsamen Metern aufgetan haben. "Der Verein hat sich bewusst dafür entschieden, mit mir keinen neuen Vertrag für die nächste Saison zu verhandeln. Auch wenn dies nicht meinen persönlichen Wünschen entsprach, ist es wichtig, dass der Verein seinen Überzeugungen folgt", schrieb Müller in einem Brief an die Fans. Das ist eine Ohrfeige für den Klub. Aber so ist Müller, ehrlich, geradeaus. Er bekannte auch, dass ihm das jüngste "Hin und Her in der Öffentlichkeit nicht gefallen" habe. Dennoch spüre er "von allen Beteiligten die Wertschätzung für meine lange Zeit beim FC Bayern". Seine letzten Pflichtspiele für die Münchner werde Müller bei der im Sommer stattfindenden Klub-WM in den USA bestreiten, hieß es vom Verein. Wo danach seine Zukunft liegt und ob er seine aktive Karriere doch woanders fortsetzen wird, oder es seinem Kumpel Mats Hummels gleichtut, verriet Müller zunächst nicht.

Müller war viel mehr als ein Fußballer für den FC Bayern

Der Wert, den Müller für den Klub hat, war schon seit Jahren weit über seine Leistungen auf dem Platz hinausgewachsen. Müller war Schleicher, Raumdeuter, Torjäger, Pressingmonster, Radiosender und auf seine eigene Art auch ein Verbündeter von Uli Hoeneß. Wenn es mal nicht gut stand um den Klub, warf sich Müller vor den FC Bayern. Mal bellte er Reporter an oder lieferte ihnen eine Schlagzeile. Der Rekordfußballer hatte feinste Antennen, wenn es darum ging, wie man die Mannschaft schützt, ihr das gibt, was sie gerade braucht. Vor dem dramatischen Meister-Kollaps des BVB im Mai 2023 stichelte er etwa, dass man "diesem Druck" in Dortmund erstmal standhalten müsse. Die Borussia zerbrach, Müller und der zerrissene FC Bayern jubelten.

Auch in großen Momenten war er da, aber in diesen ließ er anderen oft den Vortritt. Müller war im vergangenen Jahrzehnt der größte Rampenlicht-Typ des FC Bayern München, aber er dachte immer auch an seine herausragenden Komparsen. Sie durften glänzen, Müller dann noch abräumen.

Seine Mitspieler trugen große Namen: Harry Kane, Jamal Musiala, Robert Lewandowski, Arjen Robben, Franck Ribéry, Toni Kroos oder Bastian Schweinsteiger. Es ist nur eine kleine Auswahl der prägenden Offensivspieler des Klubs. Sie alle waren vermutlich bessere Fußballer. Aber war jemals einer wichtiger? Nein. Weil Thomas Müllers Karriere eine ständige Metamorphose war. In seiner ersten vollständigen Profisaison spielte er im offensiven Mittelfeld und auf beiden Außenbahnen. Müller konnte das, obwohl er weder Spielmacher war, noch so trickreich und rasend schnell wie viele andere Flügelstürmer. Und dennoch "müllerte es" überall. Auch als er den Stürmer gab. Müller war immer irgendwie, irgendwo zur Stelle. Hatte sich unbemerkt durch geschlängelt. Und traf. 245 Mal! Verteilt auf 17 Jahre!

Müller gewann 32 Titel mit den Münchnern, unter anderem zwölf Mal die Meisterschaft. Eine weitere wird in diesem Sommer hinzukommen. Er wurde 2014 Weltmeister und ging mit dem DFB-Team 2018 und 2022 in Russland und Katar unter. Er war ganz oben und ganz unten, aber fast nie verletzt. Er spielte beim FC Bayern unter 15 verschiedenen Trainern (!) – inklusive der Übergangslösungen Willy Sagnol, Peter Hermann, Andries Jonker, Zsolt Löw und Dino Toppmöller. Die meisten Spiele und Tore verbuchte er unter Starcoach Pep Guardiola (148 Spiele, 79 Treffer) gefolgt vom Triple-Champion Jupp Heynckes (135 Spiele, 47 Tore). Sein häufigster Mitspieler war Manuel Neuer, mit dem Müller in 498 Pflichtspielen des FC Bayern zusammen auf dem Platz stand.

Was war denn eigentlich das typischste Müller-Tor?

Wie will man bei 245 Toren genau jenes herausfiltern, das den Fußballer Thomas Müller am besten beschreibt? Das ist unmöglich eigentlich. Denn es gibt viel zu viele Tore, die typische Thomas-Müller-Tore sind. Was sie alle ausmacht: Sie sind unkonventionell, nicht spektakulär historisch. Bei Weltstar Cristiano Ronaldo wird vermutlich bis in alle Zeiten sein gigantischer Fallrückzieher gegen Juventus Turin in Erinnerung bleiben, der von Experten mit erstaunlichen Zahlen vermessen wurde. Bei Lionel Messi sind es die magischen Dribblings, die in phänomenal einfachen Toren mündeten. Bei Arjen Robben werden es die kraftvollen Schlenzer bleiben. Tja, und bei Müller?

Vielleicht ist es ein Treffer aus dem DFB-Pokalfinale 2014. In der Nachspielzeit der Verlängerung gegen den ewigen Rivalen Borussia Dortmund macht sich Müller an der Mittellinie auf den Weg zum Tor. Der BVB hatte gerade die Riesenchance zum Ausgleich vergeben. Vor Erschöpfung kann Müller eigentlich kaum noch laufen. Aber er will, weil er muss. Weil er Thomas Müller ist, der wohl außergewöhnlichste Fußballer, den es in Deutschland bislang gab. Er zwingt den Dortmunder Marcel Schmelzer in ein "episches" Laufduell. Schmelzer versucht in erschöpfter Verzweiflung alles, um an Müller vorbeizukommen, doch er klebt hinter dem schmächtigen Körper des Bayern fest. Der rennt, ohne sichtbare Kontrolle über seine Beine zu haben. Er rennt gegen Schmelzers Druck und auch noch an Torwart Roman Weidenfeller vorbei. 2:0, die Entscheidung. Es hat beim FC Bayern mal wieder gemüllert.

Damit ist es in ein paar Wochen vorbei. Zum Ende dieser Saison passiert das Unvorstellbare: Nach weit über 700 Spielen verlässt Müller den FC Bayern. Sein Vertrag wird nicht verlängert. Ob und wie viele Tore der 35-Jährige bis zu diesem surrealen Moment des Abschieds noch schießen wird, das weiß man nicht. Allzu viele werden es wohl nicht mehr sein. Denn er ist in der sportlichen Hierarchie beim FC Bayern weit nach hinten gerückt. Bekommt nun aber, weil Jamal Musiala verletzt ist, womöglich nochmal einen letzten Aufschwung. In der Champions League gegen Inter Mailand. Unter Trainer Vincent Kompany war das Ende seiner Unverzichtbarkeit als Fußballer nicht mehr aufzuhalten, nicht mehr zu wenden. Wie noch unter Niko Kovac, dessen Notnagel-Satz ihm um die Ohren flog. Er hatte Müllers Macht in der Kabine unterschätzt.

2013 gewann er mit den Münchnern die Champions League gegen Borussia Dortmund und war kurz davor, der beste Thomas Müller zu sein, den die Welt zu sehen bekam. Sieben Jahre später beförderte ihn Supertrainer Hansi Flick vom Notnagel zum wichtigsten Radiosender der Fußballwelt. In der Corona-Pandemie hörte alles auf das Kommando des Raumdeuters. Er war die Überfigur im Spiel der Münchner. Als "Radio Müller" anfing, in den leeren Stadien der Pandemie zu senden, war die Bundesliga die weltweit einzige Liga (neben Belarus), die Fußball spielte. Die Welt blickte hierher und sah diesen Kauz, der alle mitriss.

Was ist das eigentlich, dieses Müllern?

Das waren andere Zeiten. Vergessene Zeiten. Nun sind seine Qualitäten auf dem Feld kaum gefragt. Musiala hat übernommen. Kane, Michael Olise und wie sie alle heißen folgen nun dem Takt des 22-Jährigen. Musiala ist das neue Gesicht des FC Bayern. Und soll es lange bleiben. Er soll eine Ära prägen. Vielleicht eine wie Müller. Aber eines wird der introvertierte Typ Musiala, der vielleicht mal Weltfußballer wird, nie erreichen: Er wird niemals müllern.

Jeder weiß was das bedeutet und doch konnte es keiner jemals so richtig greifen. Wie das klubheilige Motto "Mia san mia." Das in Müller mehr lebt, als in jedem anderen Fußballer des FC Bayern. Alles hängt mit allem zusammen und kulminiert in Müller. Seit dem 15. August 2008, als er erstmals für den FC Bayern auflief. In der 79. Minute schickte Trainer Jürgen Klinsmann Müller für Deutschlands Sturmikone Miroslav Klose ins Spiel gegen den Hamburger SV. Es stand 2:2. Über eine weltveränderte Szene des jungen Debütanten konnte der "Kicker" in seinem Liveticker nicht berichten.

Direkt in seinem ersten Kurzeinsatz in der Champions League erzielte er seinen ersten Treffer. Trainer Jürgen Klinsmann hatte ihn im Achtelfinal-Rückspiel gegen Sporting Lissabon beim Stand von 4:1 in der 72. Minute für Bastian Schweinsteiger eingewechselt. In der 90. Minute fand der spätere Raumdeuter nach einer Ecke einen freien Platz. Er drückte den Ball aus drei Metern zum 7:1 über die Linie. Ein paar Wochen später wurde der zu innovative und unglückliche Klinsmann gefeuert. Müller hatte damit allerdings nicht zu tun.

Müller war alles, aber kein Wunderkind

Die Zeit des Weltveränderers Müller kam, aber nicht mit Raketenschub. Er war ein spannender Bursche, aber kein Wunderkind, wie ein Lamine Yamal, der mit 16 Jahren schon die Welt schwindelig spielte. In der Bundesliga kramte Coach Klinsmann ihn in der großen Krise noch einmal hervor, in seinem vorletzten Spiel als Trainer des FC Bayern. Auch Nachfolger Jupp Heynckes war zögerlich, was die Einsatzzeiten von Müller anging, der in der 3. Liga alles in Grund und Boden spielte. Und nach einem Einfallstor in die Bundesliga suchte. Ralf Rangnick, damals bei der TSG Hoffenheim Trainer, bot es ihm. Ein Wechsel war möglich. Wie 2015, als Louis van Gaal, der vielleicht wichtigste Steigbügelhalter in Müllers Karriere (mehr dazu gleich), ihn für 100 Millionen Euro zu Manchester United holen wollte. Müller war damals in der besten Form seines Lebens.

2019 war nochmal so ein Moment, wo Müller hätte wechseln können. Die Zeit unter Kovac machte ihn fertig. "Ich habe mit der Vereinsführung gesprochen, fühlte mich für die Rolle des Reservisten zu ehrgeizig", erzählte er dieser Tage. "Damals wäre ich für etwas weniger Vereinstreue offen gewesen." Unvorstellbar heute.

Müller war ein Münchner Jung und blieb es. Er bekam 2009 als Karriereöffner Louis van Gaal. Der Tulpengeneral war die Rakete, mit der Müller in den Orbit der Weltbesten flog. Dort waren auch gerade die jungen Kerle Lionel Messi und Cristiano Ronaldo angekommen. Der neue Trainer Louis van Gaal prägte den Spruch "Müller spielt immer" und setzte diesen eindrucksvoll in die Tat um. In 52 von 53 Partien stand der schlaksige Offensivspieler auf dem Feld und zahlte das Vertrauen mit großen Zinsen zurück. 19 Tore, 16 Vorlagen und das Double aus Meisterschaft und Pokal durfte Müller in dieser Spielzeit bejubeln. Durch die 0:2-Finalniederlage in der Königsklasse gegen Inter Mailand blieb ihm das Triple noch verwehrt. Das feierte er dann erstmals 2013. Sieben Jahre später kam ein Zweites hinzu.

Und auch wenn er in beiden Endspielen der Champions League nicht die Heldenrolle einnahm, die war gegen den BVB Arjen Robben und Franck Ribéry vorbehalten und gegen Paris St. Germain Kingsley Coman, Müller war immer da, immer unruhig, immer ein Faktor. Er war der Schlüssel, der so viel Titelschatzkisten öffnete. Er ist der Rekordtitelträger, der Rekordspieler, derjenige, die sie nie vergessen und in so vielen Momenten noch vermissen werden. "Er ist ein Glücksfall für den FC Bayern", sagte Ehrenpräsident Uli Hoeneß, der Müller als einen der wichtigsten Spieler der Klubgeschichte einstuft, Ende Februar. Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, zählte Hoeneß auf, danach Karl-Heinz Rummenigge, Paul Breitner, Lothar Matthäus. Und dann Thomas Müller.

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