In einer der wichtigsten Personalien dieser Saison scheitert der FC Bayern an sich selbst. Der Umgang des Weltklubs mit dem Fall Thomas Müller ist alles andere als ideal. Er ist der Vereinslegende gegenüber in Teilen unwürdig. Und wirft ein schlechtes Licht auf die Führung des Fußball-Rekordmeisters. Die hatte vor der Verkündung des Aus von Müller im kommenden Sommer am Samstagvormittag phasenweise offenbar die Kontrolle über die so wichtige und sensible Personalie verloren.
Dem FC Bayern fehlte in dieser Angelegenheit offensichtlich das Timing und das Fingerspitzengefühl. Es ist kein gutes Managen der Situation um den Publikumsliebling. Bereits vor der Saison war klar, dass die Vertrags-Diskussion um Thomas Müller diese Spielzeit prägen und brisant werden dürfte. Müller ist seit 25 Jahren, seit der D-Jugend, im Verein, gewann mit dem Klub zweimal die Champions League und zwölfmal die Deutsche Meisterschaft (Rekord).
Diese wird nun seine letzte Saison sein, am 30. Juni endet sein Kontrakt – alle im Klub wussten um die Brisanz. Und doch haben sie es erst in der entscheidenden Saisonphase hinbekommen, für Klarheit zu sorgen. Erst Samstag, am Tag nach dem 3:1 beim FC Augsburg, versendete der Klub eine Mitteilung: Es gibt keinen neuen Vertrag für Müller.
Kurz zuvor hatte Müller Samstag selbst sein Aus in den sozialen Medien verkündet. Und neben Dankbarkeit und Verständnis für vieles zwei deutliche Botschaften in seinem Statement:
- Ich hätte gern weiterspielt.
- Das Theater der vergangenen Wochen hat mich geärgert.
Der Klub ließ es in den vergangenen Wochen nämlich zu, dass die Entwicklung um den Weltmeister eine Eigendynamik annahm, die beiden Seiten nicht guttat. Der FC Bayern muss sich selbstkritisch die Frage stellen: Wie kann das sein? Und das kann der Klub nicht allein auf Sportvorstand Max Eberl abschieben.
So darf ein Verein einen so alteingesessenen und besonderen Spieler, wie Müller es ist, nicht behandeln. Wieder einmal zeigt der FC Bayern Schwächen beim Ende einer Ära eines verdienten Spielers; bei Bastian Schweinsteiger war es vor dessen Wechsel zu Manchester United vor zehn Jahren emotional ebenfalls schwierig, damals gab es von den eigenen Fans Pfiffe für die Klubführung.
Natürlich geht es auch ums Geld
Jetzt Thomas Müller. Noch im vergangenen Januar sagte Eberl, ein Gespräch mit Müller werde das kürzeste überhaupt. Müller könne quasi selbst und ohne lange Verhandlungen entscheiden, wie es weitergeht. Und nun, drei Monate später, zeigt sich, dass dies wohl nicht so war. Müller wurde offenbar kein wirkliches Vertragsangebot unterbreitet. Kein Wunder, dass dieser irritiert war, wie zu hören und zu lesen ist. Der einstige Nationalspieler musste auch aus Medien erfahren, dass der Aufsichtsrat offenbar seit Längerem fest davon ausging, dass der Spieler keinen neuen Vertrag erhalten würde.
Natürlich geht es auch ums Geld. Mit Müller nicht weiterzumachen – dafür gibt es sportlich und wirtschaftlich durchaus Argumente. Er spielt nur noch wenig, im Sommer dürften neue Spieler dazukommen, die neue Generation soll die Achse der Mannschaft bilden, und der Klub muss und möchte an mancher Stelle sparen.
Doch es geht bei Müller um viel mehr als einen Spieler, der sehr gut verdient. Es geht um die Wertschätzung gegenüber einem der Größten im deutschen Fußball, um ein Gesicht des Vereins, mit 742 Einsätzen ist er Rekordspieler. Um ein Stück Deutschland – Müller prägte die vergangenen 17 Jahre über den Sport hinaus, mit Sprüchen, aber auch mit dem Eintreten für Werte wie Zusammenhalt. Im Winter seiner Karriere bedarf es bei einem besonderen Spieler besonderer Sorgfalt und Feinfühligkeit.
Im Müller stellt sich auch die Frage, inwiefern der Aufsichtsrat und der Vorstand des Klubs mit einer Stimme sprechen und kommunizieren. Wer wie viel Macht hat im Verein. Der Klub hätte den Fall Müller einfach besser lösen können.
Nun muss der FC Bayern unbedingt vermeiden, dass die vergangenen Tage zu einem Zerwürfnis mit Müller führen. Er muss die Wogen glätten und die Ikone langfristig an sich binden. Nicht (mehr) als Spieler. Sondern in verantwortlicher Position. Dafür bestehen trotz der Verstimmungen in diesen Tagen Chancen.
Die Klubbosse haben recht, wenn sie seit Jahren betonen, dass Müller ideal ist, um einen wichtigen Posten in der Klubführung zu übernehmen. Sie werden von den Fans daran gemessen, ob sie ihren Worten Taten folgen lassen.
Bis dahin hat Müller noch eine ganz besondere Gelegenheit. Nachdem sich Jamal Musiala beim 3:1 gegen den FC Augsburg verletzte und wohl wochenlang ausfällt, wird Müller voraussichtlich in den Viertelfinals der Champions League gegen Inter Mailand spielen. Dienstag steigt in München das Hinspiel. Das Finale der Königsklasse wird am 31. Mai in München ausgetragen.
Thomas Müller kann sich zum Ende seiner einzigartigen Karriere beim FC Bayern noch einen Traum erfüllen.
Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen und wird gegen Inter Mailand im Stadion sein.
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