Thomas Bach nähert sich nach zwölf bewegten Jahren dem Ende seiner Amtszeit als IOC-Präsident. Vor allem in seiner Heimat riss die Kritik an ihm nie ab. Ein Grund dafür: Seine lange gepflegte Gutgläubigkeit gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
In den vergangenen Wochen war Thomas Bach in den deutschen Medien sehr präsent. Auf den letzten Metern seiner IOC-Präsidentschaft war der Spitzenfunktionär ein gefragter Mann. Und holte in alle Richtungen aus. Der olympische Friedensengel, als den er sich so gerne sah, war äußerst scharfzüngig unterwegs. Er rasierte unter anderem die reformierten Bundesjugendspiele und warf der scheidenden Bundesregierung vor, das Ansehen Deutschlands beschädigt zu haben. Gegenüber der Funke Mediengruppe sagte er etwa: "Im Sport gab es nicht nur die Verstöße gegen die Autonomie des Sports seitens der Bundesregierung, sondern auch diverse Auftritte und Äußerungen bei der Fußball-WM in Katar, mit denen sich Deutschland in der internationalen Öffentlichkeit, um es diplomatisch auszudrücken, keinen Gefallen getan hat."
Solche Sätze lassen sich auch über Bach selbst sagen. Bevor seine zweite Amtszeit endet, bekommt er zwar jede Menge lobende Worte für sein Wirken zugeworfen, aber über seiner zweiten Amtszeit liegt vor allem auch der dunkle Schatten von Wladimir Putins Provokationen und Aggressionen, mit denen der Fecht-Olympiasieger von 1976 viel zu nachsichtig umging. Seit elf Jahren, seit den Olympischen Propagandaspielen im russischen Sotschi, sind Bach und das IOC in einem Großkonflikt mit Putins Nation gefangen. Und eine gute Figur machte vor allem der Chef nicht immer. Zum Abschluss der Spiele 2014 feierte er "das Gesicht des neuen Russlands", das "effizient und freundlich, patriotisch und offen für die Welt" sei. Ein Satz, der ihm direkt um die Ohren flog.
Denn kaum war das olympische Feuer erloschen, schickte Putin seine Truppen los, um die Krim zu annektieren. Das war der Anfang einer aggressiven Episode, die Bachs Image zumindest in seiner Heimat schwer beschädigte. Als dann noch das gigantische Ausmaß des staatlich organisierten Dopings der Russen bei den Sotschi-Spielen deutlich wurde, gerieten Bach und das IOC noch mehr in Bedrängnis. Endgültig zum Bruch aber kam es erst, als Putins Armee kurz nach den Winterspielen in Peking 2022 die Ukraine überfiel. Das IOC schloss Russland von allen internationalen Wettbewerben aus. "Seitdem werde ich in Russland als Nazi bezeichnet", sagte Bach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Sein Erbe lässt er sich nicht kleinreden
1991 war Bach ins IOC aufgenommen worden, 2013 wurde er zum Präsidenten gewählt. Im zweiten Wahlgang erreicht der DOSB-Präsident mit 49 von 93 Stimmen die absolute Mehrheit, diese beschafft ihm im Hintergrund der kuwaitische Strippenzieher Ahmad Fahd al-Ahmad as-Sabah. Mit einem "ufffff" beginnt Bach seine Antrittsrede, dann ruft er den IOC-Mitgliedern zu: "Ihr sollt wissen, dass meine Türen, meine Ohren und mein Herz immer offen für euch sind."
Zwölf turbulente Jahre später endet seine Zeit. Lange hatte der 71-Jährige die olympische Welt im Ungewissen gelassen, ob er nicht doch die olympische Charta ändern lassen und eine dritte Amtszeit anstreben würde. Das passierte nicht. Nun geht es vorbei. Sein Erbe lässt er sich nicht kleinreden, das IOC sei, sagt Bach, für die Zukunft bestmöglich aufgestellt, trotz aller Krisen, die er habe bewältigen müssen. Kritik an seiner Amtsführung, an der Konzentration der Macht an der Spitze und der Entwertung der Vollversammlung kontert der 71-Jährige. "Wenn es eine russische Invasion in der Ukraine gibt, können Sie nicht sagen: 'Okay, warten wir ab und sehen, was die Session in neun Monaten dazu sagt.' Bei einer Pandemie können Sie nicht warten. Sie müssen reagieren. Und wenn man eine Krise auf der koreanischen Halbinsel hat und drei Monate später die Olympischen Spiele stattfinden, kann man nicht warten", erklärte Bach.
Das IOC wird sich ohne Bach an der Spitze natürlich verändern. Pläne der Kandidaten gibt es bereits. Sebastian Coe will nun die IOC-Mitglieder stärker einbinden, Spanier Juan Antonio Samaranch sogar auf die Medien zugehen. Die beiden sind die großen Favoriten auf die Nachfolge des Deutschen. Bach sieht indes keine Alternative zu seinem Weg. "Wir hatten keine andere Wahl", sagt er. Für Selbstkritik sei weder Zeit noch Anlass. Immerhin: "Vielleicht war ich manchmal zu schnell mit Veränderungen, um vor der Welle zu bleiben", erklärt Bach.
Vorwurf der kalkulierten Initiativen
Das Durchsetzen der Corona-Spiele 2021 in Tokio, ein Jahr nach dem ursprünglich geplanten Zeitpunkt, sorgte für reichlich Wirbel. Bach hatte die Spiele unbedingt durchsetzen wollen. Kaum ein Mensch war damals unbeliebter im Gastgeberland als der IOC-Chef. In einer Umfrage wünschten sich 82 Prozent der befragten Japaner lieber die Delta-Variante des Coronavirus im Land als den ignoranten Sportfunktionär aus Deutschland. Ein bitterer Hohn für die Japaner: Sie hatten damals beides im Land. Und beides konnten sie nicht verhindern.
Bach beschwor in Tokio eine neue Solidarität in der Weltgemeinschaft. Ein fürsorgliches Miteinander, wie sie in seinem Verband gelebt werde: "Diese Solidarität befeuert unsere Mission, die Welt durch Sport zu einem besseren Ort zu machen. Ohne Solidarität kein Frieden." Da war sie wieder, die Friedensmission des Mächtigen. Schon länger galt es als bestenfalls noch offenes Geheimnis, dass Bach mit dem Friedensnobelpreis liebäugelt. So wurden Aktionen wie sein umstrittener Hiroshima-Besuch vor den Spielen, das gemeinsame Auflaufen von nord- und südkoreanischen Teams oder aber das zusammengestellte Flüchtlingsteam als Kalkül kritisiert.
Eine einfache Präsidentschaft war es für den 71-Jährigen sicher nicht. Alle Olympischen Spiele während seiner Ägide hätten "irgendwann auf der Kippe" gestanden, sagt Bach vergangene Woche. Ob die riesigen Finanznöte der Rio-Gastgeber 2016, die politische Krise um Nordkorea vor dem Winter-Spektakel 2018 in Pyeongchang oder die Pandemie-Ausgaben in Tokio 2021 und Peking 2022, das auch wegen der weitgehend ausgeblendeten Menschenrechtsverletzungen im Land heftig in der Kritik stand - das IOC stand in diesen Jahren unter Dauerdruck. Und die Herausforderungen bleiben groß. Für das IOC, nicht mehr für Bach: Mit der russischen und belarussischen Wiedereingliederung in den Weltsport dürfen sich nun andere herumschlagen, auch mit US-Präsident Donald Trump und dessen wirren Vorstellungen von Fairplay auf allen Ebenen.
"Die klare Handschrift von Thomas Bach"
Erst in Paris entfalteten sich die Olympischen Spiele, wie Bach es sich bei seinen Reformen vorgestellt hatte. "Die Spiele sind nachhaltiger, urbaner, jünger geworden", sagt das deutsche IOC-Mitglied Michael Mronz laut Deutscher Presseagentur. Dies sei "die klare Handschrift von Thomas Bach".
Und die stete Kritik aus Deutschland an Bachs Wirken? "Wir sind ja Weltmeister darin, Persönlichkeiten madig zu machen. Das haben wir selbst mit Franz Beckenbauer hinbekommen", sagt Mronz. In weiten Teilen der Welt werde der IOC-Chef positiv wahrgenommen. "Es kann nicht sein, dass alle diese Länder falschliegen, und nur wir liegen richtig", meint Mronz. Auch von Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, bekommt er große Worte zugesprochen: "Er hat das IOC durch eine Zeit großer Herausforderungen geführt und übergibt es in einem exzellenten Zustand an seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger." Bachs Reform-Agenda habe die olympische Bewegung zukunftsfähig gemacht, versichert Weikert.
"Es ist immer noch viel zu tun", räumt Bach ein. "Ich hätte mir viele Dinge gewünscht, aber so ist die Welt nicht, man kann nicht alles erreichen in zwölf Jahren", fügt der Wirtschaftsanwalt hinzu. Zum inzwischen zerbrochenen Männerbündnis mit Kremlchef Putin lässt Bach wissen: "Vielleicht habe ich manchmal zu stark und zu lange an die Gutmütigkeit von Leuten geglaubt." Und dennoch stellt er sich ein gutes Abschlusszeugnis aus. Das IOC sei "gesünder als je zuvor, wenn man auf die Zahlen und Fakten schaut", sagt Bach. Bis 2034 sind Gastgeber für die Olympischen Spiele gefunden, für 2036 und danach gibt es eine wohl zweistellige Zahl an Interessenten.
Und jetzt erstmal auf den Jakobsweg
Viele Milliarden an TV- und Sponsoringeinnahmen sind dem IOC schon für die kommenden Jahre gewiss, einige große Partner wie Toyota, Panasonic und Bridgestone stiegen allerdings zuletzt aus. Fortschritte bei der Gleichstellung, einen Deal für ein E-Sport-Olympia in Saudi-Arabien und die forcierte Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der olympischen Welt schreibt Bach sich ebenfalls auf die Erfolgsliste.
An großen Aufgaben wird es seinem Nachfolger dennoch nicht mangeln. Sechs Männer um Leichtathletik-Chef Sebastian Coe und Bachs angebliche Favoritin Kirsty Coventry bewerben sich um das IOC-Spitzenamt. Selbst weiter im Hintergrund mitmischen, das schließt Bach aus. Er strebt nach eigener Aussage kein Amt im Sport mehr an, auch wenn DOSB-Chef Weikert auf ein aktives Engagement des Ehrenpräsidenten bei der deutschen Dachorganisation hofft. Bachs Pläne sind vorerst andere: "Ich werde erst mal mindestens vier Wochen schlafen. Und dann werde ich eine Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg machen und mich alleine inspirieren lassen."
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke