Es sieht am Sonntagabend lange so aus, als könnte Bayer Leverkusen auch den nächsten Patzer des FC Bayern im Meisterrennen nicht für sich nutzen. Beim VfB Stuttgart liegt die Mannschaft 1:3 hinten - und entdeckt dann plötzlich lange vermisste Qualitäten.
Patrik Schick läuft auf Xabi Alonso zu. Und Xabi Alonso auf Patrik Schick. Es musste etwas Großes passiert sein in der Stuttgarter Fußballarena. Denn die Geschichte des Topstürmers und des Supertrainers war zuletzt nicht ganz so einfach. In den großen Duellen gegen den FC Bayern hatte der spanische Coach von Bayer 04 Leverkusen auf seinen Torjäger verzichtet. Obwohl er sehr treffsicher war, saß er nur auf der Bank. Der Tscheche gab sich wenig Mühe zu verbergen, wie er das findet. Ziemlich bescheiden ist noch die niedliche Form.
An diesem Sonntagabend war alles vergessen. Leverkusen hatte wieder einmal das getan, wovor die Fußball-Welt am meisten zitterte, vor allem in der vergangenen Saison. Leverkusen hatte ein Spiel gedreht, das längst verloren schien. Beim VfB Stuttgart lag der amtierende Meister mit 1:3 hinten. Ohne den verletzten Florian Wirz fehlte abermals die Kreativität, vor allem in der ersten Halbzeit. Aber immerhin der Kampf war da. Spielmacher Granit Xhaka hatte einen Ball unglücklich ins eigene Tor verlängert und damit der Aufholjagd der Werkself einen dicken Dämpfer verpasst (62.). Kurz zuvor hatte Jeremie Frimpong den Anschlusstreffer erzielt (56.). Für den VfB hatten Ermedin Demirovic (15.) und Nick Woltemade (48.) vorgelegt.
Aber Bayer war an diesem Abend offenbar gewillt, den nächsten Patzer des FC Bayern nicht abermals ungenutzt wegzuwerfen. In der vergangenen Woche hatte der Rekordmeister völlig überraschend gegen den VfL Bochum verloren und Leverkusen parallel sein Heimspiel gegen das rätselhafte Werder Bremen. Bayer warf nun alles rein, Xabi Alonso ging All-in. Er ließ Schick bis zur letzten Sekunde auf dem Feld. Und brachte nach 57 Minuten auch noch Victor Boniface. Um beide "Neuner" hatte es zuletzt reichlich Diskussionen gegeben, weil sie doch so viele Qualitäten haben, die der Trainer aber in seinem System missachtet hatte.
Ein Duell, in dem es immer knallt
Der Rückschlag durch das Eigentor warf Leverkusen nicht aus der Spur. Bayer rannte an, Stuttgart hielt aber dagegen. Diese beiden Mannschaften können es gegeneinander einfach nicht ohne Spektakel. Bereits in der vergangenen Saison verzauberten sie Fußball-Deutschland dreimal mit leidenschaftlichen und großartigen Spielen. Und meistens hatte der VfB danach schlechte Laune. Im Viertelfinale des DFB-Pokals und im Rückspiel der Bundesliga traf Bayer jeweils spät, ab der 90. Minute. Im Pokal zum Sieg, in der Liga zum Ausgleich. Die historische Serie einer Saison ohne Niederlage wurde damals spektakulär verteidigt.
Piero Hincapie holte Leverkusen in Stuttgart nach 68 Minuten zurück. Er nutzt einen Abpraller nach einer Ecke. Nach 88 Minuten behauptet sich Boniface im Strafraum und gibt den Ball von der linken Seite nach innen, dort fälscht Angelo Stiller unglücklich ab, 3:3. Der Wahnsinn hat wieder Einzug erhalten und er schlägt gleich nochmal zu. In der 94. Minute flankt Frimpong in die Mitte, dort steht Schick, wird überraschend wenig bedrängt und köpft den Ball ins Tor. Bayer Leverkusen hatte es wieder getan. Wie so oft. Wie so oft gegen Stuttgart. Und Schick flog in die Arme von Xabi Alonso. Vorbei war es noch nicht, Boniface haute den Ball noch an die Unterlatte.
Und plötzlich (natürlich) war die Laune wieder bestens bei Bayer. Nach den frustrierenden Tagen, in denen die Werkself ohne ihren genialen Spielmacher Florian Wirtz in der Champions League vom FC Bayern zweimal vorgeführt worden war und im Achtelfinale aus dem Wettbewerb flog. Und vielleicht kann man den großen Rivalen in der Liga ja doch noch ein bisschen ärgern. "Die Luft ist nicht raus. Wir haben uns nicht aufgegeben und haben bis zum Ende dran geglaubt. Vielleicht braucht es manchmal genau solche Siege, um zu zeigen, dass der Spirit immer noch da ist", sagte Abwehrspieler Jonathan Tah. Man stelle sich nur vor, Bayer hätte das Duell mit Bayern gewonnen und gegen Bremen nicht gepatzt. Was wäre das plötzlich für ein Titelrennen.
"Wollen dem FC Bayern bis zum Ende auf den Sack gehen"
So aber bleibt nur: Hausaufgaben machen und hoffen. "Die Situation hat sich so geändert, dass wir zwei Punkte weniger Rückstand haben. Das tut schon gut. Wir wollen aus allen Situationen das Bestmögliche herausholen, den Pokal und in der Bundesliga jedes Spiel gewinnen", sagte etwa Robert Andrich an. "Ob Bayern uns die Chancen noch gibt, werden wir sehen. Wir wollen ihnen bis zum Ende einfach auf den Sack gehen." Bei noch acht ausstehenden Spielen beträgt der Rückstand sechs Punkte. Andrich lobte vor allem die herausragenden Möglichkeiten, die der Kader hergibt: "Wir haben von der Bank brutal viel Qualität und Wucht gebracht. Nach dem 3:3 wollten wir auf Sieg spielen. Ein Punkt hätte uns nicht viel gebracht."
Für den VfB ist die Niederlage ein herber Rückschlag im Kampf um die Qualifikation für die Champions League. Sebastian Hoeneß hob nach dem 3:4 erschrocken die Hand vors Gesicht. Nicht schon wieder Leverkusen. Aber so war's. "Die Jungs haben alles gegeben und ein wirklich gutes Spiel gemacht. Es soll nicht sein, wir müssen ein bisschen tiefer graben gerade, wir müssen ein bisschen mehr fighten und das ist das, was wir dann auch tun werden, wenn wir wieder zusammenkommen", sagte er. "Aber ich glaube, heute war mehr drin und hätten die Jungs auch verdient. Aber du musst halt mit diesen Zwei-Tore-Führungen eine Phase überstehen, fünf bis zehn Minuten und dann wird es irgendwann auch schwer für den Gegner."
Doch dieser Sieg war viel mehr als eine kleine Kampfansage Richtung München. Er war vor allem eine riesige Erleichterung. Vor allem für Xabi Alonso, der nach schwer nachvollziehbaren Aufstellungen ein bisschen ins Gerede gekommen war. "Nach diesen zehn Tagen wieder dieses super Gefühl zu haben - für uns alle war das wichtig", sagte der Spanier. Was jetzt noch möglich ist? "Vieles kann passieren. Wir müssen Spiel für Spiel gewinnen", befand der Spanier und ergänzte: "Es ist nicht in unserer Hand."
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