Winterabende im Berliner Olympiastadion sind oft trist – auch jener vor fünf Jahren, als Hertha BSC den FC Schalke 04 empfing. Von Aufbruchstimmung war wenig zu spüren, obwohl bei den Berlinern mit Jürgen Klinsmann einer der Größten des deutschen Fußballs auf der Trainerbank saß. Doch nach gut einer Stunde erwachte das Stadion.

Krzysztof Piatek wurde eingewechselt: Der Pole war tags zuvor für 24 Millionen Euro von AC Mailand verpflichtet worden. Wird Piatek, der in Italien ein erfolgreicher Torjäger war, das neue Gesicht der Mannschaft, fragten sich die Anhänger. Würden ihm Prestige, Siege und Titel nach Berlin folgen? Und würde mit ihm „der schlafende Riese“, wie selbst Franz Beckenbauer den Hauptstadtklub aufgrund seines ungehobenen Potenzials einst bezeichnete, nun endlich erwachen?

Piatek schoss an diesem Abend kein Tor, das Spiel endete 0:0. Und die vergebliche Hoffnung, die Herthas Anhänger in den letztendlich erfolglosen Stürmer gesteckt hatten, steht sinnbildlich für die vielen Irrwege, die dieser Verein seither nahm. Zum Erfolg führte keiner. Aus dem schlafenden Riesen ist in den vergangenen fünf Jahren ein müder Zwerg geworden. Die Realität heißt Elversberg statt Mailand, der neue Trainer heißt Stefan Leitl und nicht Klinsmann. Und Hertha muss am Sonntag im Saarland Punkte sammeln, damit der Klassenverbleib in der Zweiten Liga nicht in Gefahr gerät.

Hertha, Investor Windhorst und der „Big City Club“

Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort hat mit Piatek zu tun, wenn auch nur zu einem kleinen Teil. Er kam im Zuge einer Transferoffensive nach Berlin, die im Sommer 2019 begann und rund 130 Millionen Euro verschlang. Möglich machte diese finanziellen Eskapaden der Einstieg von Investor Lars Windhorst, der bis zum Sommer 2021 rund 374 Millionen Euro in den Klub pumpte und ihm mit dem „Big City Club“ ein Label aufklebte, das sich kaum noch entfernen ließ. Der neue Reichtum war schnell dahin: teure Transfers und Gehälter, Schuldenabbau, Corona. Erst verschwand Klinsmann, dann das Geld und schließlich auch Windhorst. Geblieben sind Schulden und Spott. Seither versucht Hertha, den Absturz zu bremsen und muss befürchten, dass der Punkt des Aufpralls noch nicht erreicht ist.

Die erfahrenen Manager Michael Preetz oder Fredi Bobic fanden keinen Rettungsschirm, stattdessen verschliss Hertha auch unter ihrer Führung seit dem Sommer 2019 neun Trainer und Dutzende Spieler. Seit Juni 2022 setzt der Klub auf eine neue Philosophie. Die Wahl von Kay Bernstein zum Präsidenten war eine Zäsur, dem ehemaligen Ultra gelang ein Stimmungswechsel. Viele Anhänger erlebten ihren Klub in der Folge als nahbarer, der Einfluss der organisierten Fanszene wuchs. Erfolg wurde derweil der Harmonie im Verein untergeordnet – und Identifikation zur Maxime. Sie wurde unter dem Schlagwort „Berliner Weg“ subsumiert. Und sie dürfte einen bedeutenden Anteil daran haben, dass die sportlichen Entscheider seit Januar 2023 Benjamin Weber und Andreas „Zecke“ Neuendorf heißen.

Weber hatte zwischen 2003 und 2022 bei Hertha vor allem im Nachwuchs gearbeitet. Er wurde von Bernstein als Sportdirektor zurückgeholt. Ebenso der ehemalige Berliner Publikumsliebling Neuendorf, der den komplizierten Titel „Direktor Akademie & Lizenzspielerbereich“ trägt und dessen genaue Jobbeschreibung noch schwieriger zu erfassen ist. In ihrer Funktion sind beide Bosse Anfänger in der Branche. Ebenso wie Geschäftsführer Thomas E. Herrich, mit dem das Duo für Herthas Geschicke verantwortlich zeichnet.

Ihre Bilanz wies nach nur wenigen Monaten Amtszeit den Abstieg aus der Bundesliga aus. Zur gleichen Zeit drohte 2023 die Insolvenz. Abgewendet wurde sie durch harte Sparmaßnahmen und den Einstieg von Investor 777 Partners, der zusätzliche 75 Millionen Euro brachte, jedoch kein weiteres Prozent an Seriosität. Die US-Investmentfirma steht aktuell vor der Pleite. Hertha hat insgesamt rund 450 Millionen Euro Investorengeld verbrannt.

Unterdessen navigierten Weber und Neuendorf durch ihre erste Zweitligasaison, die vom plötzlichen Tod Bernsteins im Januar 2024 überschattet wurde. Den Wiederaufstieg verpasste das Team unter dem damaligen Trainer Pal Dardai auf Platz neun deutlich. An seiner Stelle wurde zu Beginn der laufenden Saison in Cristian Fiél einen Trainer mit überschaubarer Erfahrung und noch weniger Erfolg installiert. Die Aussicht auf „mutigen und offensiven Fußball“ war den Berlinern eine Ablöse von rund 400.000 Euro wert. Das Wort „Aufstieg“ schien dennoch tabu zu sein. Manche sahen darin ein Indiz dafür, dass sich Demut in fehlenden Ehrgeiz verkehrt hatte. Hatte Hertha Ambitionen aufgegeben, um nicht mehr in den Verdacht des Größenwahns zu geraten?

Leitl soll Team mit defensiv orientiertem Fußball stabilisieren

Fiél hatte mit einem taxierten Marktwert von rund 53 Millionen Euro einen der teuersten Zweitligakader zur Verfügung. Dem Trainer gelang es dennoch nicht, die Mannschaft zu befähigen, mit seiner Spielidee vom dominanten Ballbesitzfußball in den robusten Auseinandersetzungen der Zweiten Liga zu bestehen. Schmerzhafte Abgänge und Verletzungen taten ihr Übriges.

Nach vier Niederlagen in Folge zu Jahresbeginn musste der menschlich hochgeschätzte Spanier gehen. Konsequenzen für seine Fehlgriffe auf der Trainerposition sowie bei der Zusammenstellung des Kaders hat das Duo Weber/Neuendorf indes nicht zu befürchten. Ihre Verträge wurden unter Geschäftsführer Herrich und dem damals noch kommissarisch amtierenden Präsidenten Fabian Drescher im Herbst überraschend vorzeitig verlängert.

Fiéls Nachfolger heißt Stefan Leitl. Er soll die Mannschaft mit defensiv orientiertem Fußball stabilisieren. Dabei kann sich Hertha kaum leisten, die Bundesliga aus den Augen zu verlieren. Mit jedem Zweitligajahr sinken die Einnahmen. Dazu drängt die Rückzahlung einer Anleihe über 40 Millionen Euro im Herbst. Bis zum 15. März muss der Klub seine wirtschaftliche Handlungsfähigkeit bei der DFL nachweisen, um die Lizenz zu erhalten. Aus dem Verein ist zu vernehmen, dass man sowohl mit Blick auf die Anleihe als auch auf die Lizenz weitgehend unbesorgt sei.

Dennoch scheint gewiss, dass die besten Profis im Sommer attraktiven Angeboten von Erstligavereinen folgen werden. Die Verpflichtungen für die neue Saison rekrutierte Hertha bislang aus der Zweiten und Dritten Liga. Das sportliche Niveau sinkt – und mit ihm die Chancen auf eine schnelle Rückkehr in die Bundesliga. Dorthin, wo die Fans vor ziemlich genau fünf Jahren so sehr auf ein Tor von Piatek gehofft hatten. Der spielt inzwischen in der Türkei und wurde dort zu einem der besten Torjäger Europas. Noch haben einige Hertha-Fans die Hoffnung, dass auch ihr Verein nach den Wirrungen der vergangenen Jahre zurück zu alter Stärke findet. Aktuell aber stehen so noch einige triste Abende im Olympiastadion bevor – im grauen Alltag der Zweiten Liga.

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