Im Hamburger Hafen kann man den Stand des Zollkonflikts beobachten. HHLA-Chefin Angela Titzrath erklärt im Interview, was uns droht und wie das zu verhindern wäre.

Frau Titzrath, erst hat US-Präsident Donald Trump global exorbitant hohe Zölle verhängt, kurz darauf 90 Tage Pause für Sonderzölle gewährt. Entspannt sich damit die Lage für den Welthandel?
Entspannt kann man nicht sein. Denn Zölle sind Gift für die Wirtschaft. Und das Verhalten der US-Regierung hat zu einer systemischen Verunsicherung geführt. Es gibt kaum etwas Schlimmeres für das Logistikgeschäft und den Welthandel als fehlende Planungssicherheit. Außerdem sind die Zölle für Autos, Stahl und Aluminium weiterhin in Kraft. Was wir da gerade erleben, ist unverantwortlich. Die 90 Tage Moratorium sind zunächst eine kleine Verschnaufpause. Die sollten die USA, China und Europa für Verhandlungen nutzen.

© Bettina Theuerkauf

Zur Person

Angela Titzrath ist seit Januar 2017 Vorstandsvorsitzende des europäischen Logistikkonzerns HHLA und Terminalbetreiber im Hamburger Hafen. Zudem ist sie Vorsitzende des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS). Bevor Titzrath zur HHLA stieß, arbeitete sie in verschiedenen Führungspositionen bei Mercedes-Benz und der Deutschen Post. Titzrath sitzt in den Aufsichtsräten des Versicherers Talanx, des Chemiekonzerns Evonik sowie der Lufthansa.

Das muss auf politischer Ebene passieren. Wie ist derweil die Lage im Hamburger Hafen? Nutzen Kunden diese 90 Tage, um noch Fracht auf den Weg zu bringen? 
Im Moment läuft der Warenverkehr stabil, wir sehen noch keine Auswirkungen. In der Seefracht planen wir in Sechs-Wochen-Zyklen. Das, was derzeit auf den Weltmeeren unterwegs ist, wird auch ausgeliefert. Für den Hamburger Hafen sind die USA aktuell der zweitwichtigste Handelspartner mit jährlich rund 700.000 Standardcontainern, die in Richtung USA gehen oder von dort kommen. Das sind etwa zehn Prozent des Gesamtumschlags. Viele Kunden sind wohl noch dabei, die Lage zu bewerten und warten ab, bevor sie Maßnahmen verkünden.

Im Oktober vergangenen Jahres haben Sie uns im Interview berichtet, dass Sie erstaunliche Warenströme sehen: Da verschifften viele Exporteure ihre Waren in die USA, um dort ihre Lager zu füllen. Damit wollten sie vorsorgen für den Fall, dass Trump als neuer US-Präsident die Zölle wieder erhöht. Das hat sich als schlauer Schachzug erwiesen. Was können die Unternehmen jetzt noch tun?
Solange die Unternehmen keine Planungssicherheit haben, können sie wenig tun. Die Lager aufzufüllen, war der größte Hebel, um dem Handlungsdruck durch höhere Zölle zunächst zu entgehen. Die Lager werden aber bald leer sein.

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Deshalb werden die Exporteure nun auch bald die Entscheidung treffen müssen, ob sie ihre Waren, die für den US-Markt bestimmt sind, noch verladen oder wohin die sonst verschifft werden. Auf welchen Zeitrahmen stellen Sie sich ein?
Wenn in den kommenden sechs bis acht Wochen keine deutlichen Annäherungen in den Verhandlungen zwischen den USA und anderen Staaten erfolgen, werden wir möglicherweise Auswirkungen sehen können. Aber momentan gibt es noch keinen eindeutigen Trend oder valide Anhaltspunkte für Lieferkettenunterbrechungen oder Produktionsverlagerungen. 

Einige Reedereien sind trotzdem in Alarmstellung. Hapag-Lloyd, einer Ihrer großen Kunden in Hamburg, geht davon aus, dass die Kapazitäten gen USA angepasst werden müssen. Auf welches Szenario stellen Sie sich ein?
Wir sind darauf eingestellt, dass direkte Im- und Exporte mit den USA durch andere Warenverkehre in die ganze Welt ersetzt werden. Diese Form der Volatilität ist für Logistiker aber Tagesgeschäft. Wir pflegen langjährige Beziehungen zu Kunden in aller Welt und sind auch für alle Warenverkehre offen. Wir sehen zum Beispiel, dass sich Warenströme zu anderen Regionen wie etwa Indien stabilisiert haben.

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Aber kann ein Umsteuern in andere Handelsregionen das wichtige US-Geschäft wirklich kompensieren?
Ich bin fest davon überzeugt: Ware findet immer ihren Weg. Das haben wir in allen Krisen, zuletzt auch während der Corona-Pandemie oder nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs erlebt. Wenn der Handel zwischen China und den USA nun schwierig oder unmöglich wird, werden die chinesischen Exporteure anderen Absatzmärkte in Asien, Lateinamerika oder Europa für ihre Ware finden. Auch darauf sind wir als Logistikunternehmen mit einem breiten Netzwerk vorbereitet.

Sie sind krisenerprobt. Dennoch: Erschüttert die erratische Zollpolitik von Trump Ihren Glauben an den freien globalen Handel? 
Freier Welthandel sichert Wohlstand und Frieden. Dass Zölle ein Angriff auf die Globalisierung sind, haben nicht zuletzt die harten Reaktionen der Finanzmärkte gezeigt. Natürlich sorgt das, was wir gerade erleben, für Verunsicherung. Besonders in solchen Momenten kann es helfen, den Blick zu weiten: Wer in langen, historischen Zyklen denkt – über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte –, der erkennt, dass offene Märkte sich langfristig durchsetzen. Mit Blick darauf rate ich weiterhin zu ein bisschen mehr Gelassenheit und zu intensiven Gesprächen.

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