Welche Folgen die US-Zölle für ihr Geschäft konkret haben, darüber können die deutschen Medizintechnikunternehmen derzeit nur spekulieren. So teilt der Medizin- und Sicherheitstechnikhersteller Dräger mit Sitz in Lübeck mit, dass dem Unternehmen noch keine Details von den US-Zollplänen vorliegen würden.
Dennoch geht Dräger davon aus, dass sich die Zölle „auf unsere Umsatz- und Ergebnisentwicklung auswirken werden“. Wie genau, das kann das Unternehmen noch nicht „absehen“.
Unsicherheit klingt auch in den Stellungnahmen anderer namhafter Medizintechnikunternehmen durch. B. Braun erwartet, dass sich die Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump auf seine globalen Lieferketten auswirken werden.
„Inwieweit dies der Fall sein wird, evaluieren wir derzeit und erarbeiten Lösungen, um Risiken für unser Geschäft zu minimieren und die Gesundheit von Menschen weltweit zu schützen und zu verbessern“, heißt es von B. Braun. Branchenprimus Siemens Healthineers spricht in Bezug auf die Zölle von „drastischen Maßnahmen“, wobei es für alle Betroffenen nicht einfach werde, damit umzugehen.
An dem von Trump vergangenen Mittwoch ausgerufenen „Tag der Befreiung“, an dem die USA weltweite Strafzölle ankündigten, konnte die Pharmabranche aufatmen. Sie ist von den Maßnahmen – zumindest vorerst – ausgenommen.
Anders ist die Lage bei den Herstellern von Medizintechnik. Sie treffen die Zölle mit voller Wucht. Für Europa und Deutschland bedeutet das für die Unternehmen zusätzliche Abgaben in der Höhe von 20 Prozent – sofern die EU nicht bald einen „Deal“ mit dem US-Präsidenten findet.
Zölle und Personalabbau bei den US-Behörden treffen die Branche ins Mark
Für die deutsche Medizintechnikbranche braut sich damit der perfekte Sturm zusammen. Denn es sind nicht nur die Zölle, die die Unternehmen zu schultern haben. Der von Tech-Unternehmer Elon Musk vorangetriebene radikale Personalabbau bei den US-Behörden trifft auch die für die Medizintechnikunternehmen entscheidende US-Aufsicht Food and Drug Administration (FDA).
Die Folge: Möglicherweise längere Zulassungsverfahren und noch mehr Unsicherheit. Den amerikanischen Markt zu verlassen, können sich dabei die wenigsten Unternehmen leisten.
Fast 14 Prozent des Branchengesamtumsatzes von rund 40 Milliarden Euro erwirtschaften die Medizintechnikunternehmen in den USA. Und die von Insolvenzen geprägte deutsche Kliniklandschaft ist als Absatzmarkt für teure Hightech-Geräte derzeit keine Alternative.
Betroffen von den Verwerfungen der Branche ist vor allem der Mittelstand. Während große Konzerne wie Siemens Healthineers oder B. Braun stark vor Ort in den USA produzieren, fertigt der Mittelstand oftmals in Deutschland und exportiert die Produkte – wodurch die Zölle in vollem Umfang wirksam werden.
Wie groß die Probleme für die Branche sind, betont der Bundesverband Medizintechnik (BVMed). So hätten die US-Zölle laut dem Verband voraussichtlich „erhebliche Auswirkungen“ auf die deutsche Medizintechnikindustrie.
„Die USA sind einer der wichtigsten Exportmärkte für deutsche Medizintechnikprodukte. Die Zölle könnten zu erhöhten Kosten für Hersteller und Endverbraucher führen, Lieferketten destabilisieren und den Marktzugang für essenzielle Medizinprodukte erschweren“, heißt es vom BVMed.
Neue Herausforderungen kommen zu Lieferkettenproblemen hinzu
Dabei sei die Branche bereits jetzt mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, wie etwa Lieferkettenunterbrechungen und Preissteigerungen bei Rohstoffen. Die Zölle könnten diese Probleme weiter verschärfen und etwa zu einer Erhöhung der Produktions- und Endverbraucherkosten führen oder Lieferketten destabilisieren.
Leidtragende wären auch die Patienten. So warnt der Verband davor, dass die Verfügbarkeit von „lebenswichtigen Produkten“ gefährdet sein könnte. „Wir fordern sowohl die US- als auch die EU-Seite auf, Medizinprodukte als essenzielle humanitäre Güter nicht in handelspolitische Auseinandersetzungen einzubeziehen“, heißt es vom BVMed.
Der Deutsche Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik (Spectaris) warnt eindringlich davor, dass die Zölle zu Engpässen bei „lebenswichtigen Produkten“ wie Beatmungsgeräte und chirurgische Instrumente führen könnten.
Doch nicht nur Patienten sind betroffen. So rechnet Spectaris vor, wie stark die Belastung für die Branche werden könnte. „Je nach Produktsegment könnte die effektive Zollbelastung auf 20 bis 43 Prozent steigen. Unternehmen stehen vor der Wahl, diese Kosten an Kunden weiterzugeben oder Margenverluste hinzunehmen. Dabei erschweren bestehende Vertragsbindungen mit festen Preisen eine Anpassung“, heißt es von Spectaris.
Harald Smolak, Berater bei der Managementberatung Atreus aus München, sieht die Branche vor großen Unwägbarkeiten. „Die entscheidende Frage ist, wie abhängig die USA von europäischer Medizintechnik sind“, so Smolak, „ich fürchte, die Antwort wird deutsche Hersteller nicht erfreuen. Denn Amerika hat etwa mit General Electric einen sehr starken Konzern im Bereich der Medizintechnik.“
Zudem könne man im Unterschied zum Privatkundengeschäft im Industriekundengeschäft auch nicht so stark über die Marke verkaufen. „Teure Autos kaufen Kunden auch aufgrund der Marke“, sagt Smolak. Viele würden diese Autos auch kaufen, wenn sie 20 oder 30 Prozent teurer sind.
Höhere Preise trotz Zoll-Aufschlägen kaum möglich
„Im Industriekundengeschäft mit Medizintechnikprodukten wird man solche Aufschläge aber nicht weitergeben können“, so Smolak. Entscheidend wird für die Hersteller laut Smolak sein, wer in den USA Produktionsmöglichkeiten hat oder sie dort rasch aufbauen kann.
Schützenhilfe bekommen die deutschen Unternehmen von ihren US-Mitbewerbern. So äußerte Scott Whitaker, Präsident des US-Branchenverbands Advanced Medical Technology Association (AdvaMed) auf der Plattform LinkedIn, seine Enttäuschung über Trumps Zölle.
Diese würden sich negativ auf die amerikanische Medizintechnik auswirken. „Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung wären wahrscheinlich das erste und unmittelbarste Opfer und bedrohen Amerikas Führungsrolle bei der Innovation in der Medizintechnik“, schreibt Whitaker.
Zölle würden demnach Arbeitsplätze in den USA kosten, die Kosten für das Gesundheitssystem erhöhen und den zukünftigen medizinischen Fortschritt beeinträchtigen.
Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit den Schwerpunkten Gesundheit und Bauwirtschaft.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke