Donald Trumps Zölle schwächen die amerikanische Wirtschaft langfristig, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Schadenfreude sei unangebracht – auch Anleger verlieren.

Herr Krämer, Sie sind seit vielen Jahrzehnten an den Märkten aktiv. Was ist da seit dem 2. April an den Märkten passiert – dem Tag, an dem US-Präsident Donald Trump neue Zölle gegen die gesamte Welt verhängt hat?
Die Marktreaktion spiegelt eine Erkenntnis wider: Die Ära der Globalisierung ist endgültig vorbei – eine Ära, die seit dem Zweiten Weltkrieg weltweit enormen Wohlstand gebracht hat, und der Trump nun den Krieg erklärt hat. 

Inzwischen schaut auch die breite Bevölkerung auf den Börsenabsturz. Normalerweise ist das der Moment, an dem das Schlimmste überstanden ist. Wie ist es dieses Mal?
Das hängt stark davon ab, was die Verhandlungen mit Donald Trump ergeben. Ich sehe noch weiteres Potenzial nach unten, wenn nichts dabei herauskommt. Im anderen Fall werden die Verluste zwar begrenzt, aber nicht ganz aufgeholt. Es wird ein Schaden bleiben. Dafür ist die zurückbleibende Verunsicherung zu groß, die Donald Trump verursacht hat.

Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Zuvor arbeitete er unter anderem bei Merril Lynch, Invesco und der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank. Krämer studierte VWL in Bonn und Münster, und promovierte später am Kieler Weltwirtschaftsinstitut (IfW). Neben seiner Arbeit bei der Commerzbank ist er Honorarprofessor an der Universität Münster.

Apropos Verunsicherung. Sie sind mit der Commerzbank einer der wichtigsten Mittelstandsfinanzierer in Deutschland. Was nehmen Sie aus dieser Gruppe wahr?
Die Skepsis gegenüber den USA ist massiv. Die Investitionsbereitschaft in Amerika ist auf einen Tiefpunkt gefallen, weil die Firmen nicht wissen, was sie überhaupt noch mit einem Investment in Amerika verdienen können. Denn sie sind auch dort auf Importe angewiesen, ohne dass sie wissen, wie hoch die Zölle auf Dauer sein werden. Man kann sich bei Trump nie sicher sein. Vielleicht schürt er eines Tages sogar Stimmung gegen ausländische Unternehmen in den USA. Wer weiß das schon? Klar ist: Die Investitionen werden in den USA zurückgehen und die amerikanische Wirtschaft langfristig geschwächt.

Die Konsensschätzung der Ökonomen zeigt mittlerweile eine Rezession für die USA an. Was denken Sie?
Wir werden in den USA nahe an die Rezessionsschwelle herankommen, die Verunsicherung ist einfach zu hoch.

Die EU versucht jetzt tatsächlich, die Industrieprodukte beidseitig von Zöllen auszunehmen, was Trump aber zunächst abgelehnt hat. Ist das trotzdem der erste richtige Schritt – Zollsenkung – und was muss danach folgen?
Ja, das ist ein Schritt in die richtige Richtung, wobei ich den schon vor fünf Jahren gefordert habe – vor allem mit Blick auf die Autozölle.

Wobei ja die Frage ist, wer hierzulande einen Monster-Truck kaufen würde, nur weil der EU-Zoll wegfällt?
Das spielt ja keine Rolle. Wichtig ist das Signal. Ohne das kommt es nie zu Verhandlungen.

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Und wenn Trump auf die Angebote der EU nicht eingeht?
Er hat das erste Angebot jetzt erst einmal abgelehnt. Das Angebot der EU hat ja auch Agrarprodukte ausgeklammert, wo sich die Amerikaner zu Recht schlecht behandelt sehen. Hier müsste sich die EU bewegen. Die Märkte dürften aber erst positiv reagieren, wenn etwas bei Verhandlungen herauskommt.

Können die Finanzmärkte Donald Trump einbremsen und ihm einen Liz-Truss-Moment bescheren, bei dem er zurückrudern muss?
Das aktuelle Minus an den Aktienmärkten reicht dafür noch nicht aus. Die meisten Privatanleger sind langfristig orientiert und sitzen noch immer auf Kursgewinnen. Um Trump zu stoppen, bräuchte es wohl deutlich stärkere, längerfristige Kursrückgänge.

Manche Ihrer Kollegen warnen schon vor einer Finanzkrise, wenn das so weitergeht. Vor allem aufgrund der Margin Calls von Hedgefonds, die bei weiteren Verlusten neue Sicherheiten hinterlegen müssen – und so letztlich eine Spirale im Finanzsystem auslösen könnten. Droht eine Finanzkrise?
Da bin ich gelassener als meine Kollegen. Dem Einbruch an den Aktienmärkten ging ja keine lange Phase mit einer übertriebenen Kreditvergabe voraus. Wir haben auch keine Immobilienblase. Das ist diesmal keine Krise der Finanzwirtschaft, sondern der Realwirtschaft. Das Problem ist Trumps Zollkeule. 

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Wenn Sie auf all die Turbulenzen an den Märkten schauen: Aktien, Anleihen, Devisen, Kredite. Was bereitet Ihnen hier die größte Sorge?
Was mir wirklich Sorge bereitet, ist das Fundamentale dahinter, also das Rückabwickeln der internationalen Arbeitsteilung durch die USA. Das richtet vor allem in den USA einen hohen ökonomischen Schaden an. Die fallenden Aktienkurse sind nur ein Symptom.

Kann sich die Welt nicht auch gegen die USA zusammenschließen und eine neue Ordnung aufbauen?
Es kommt jetzt darauf an, dass die anderen Länder am regelgebundenen Welthandel festhalten. Dann ließe sich der von Trump angerichtete Schaden begrenzen. Ob das gelingt, ist aber nicht sicher. Man denke an die Ölflecktheorie, und die geht in etwa so: Wenn die USA die Zoll-Mauern hochziehen, hat China noch größere Überkapazitäten als ohnehin schon. Was werden sie also tun? Sie werden versuchen, die Produkte billiger woanders loszuwerden. Das kann aber beispielsweise der EU nicht gefallen, weil sie ihre eigenen Unternehmen schützen wollen – durch Zölle etwa gegen China. Der Protektionismus könnte sich wie ein Ölteppich im Meer ausbreiten.

Es hätte aber auch einen möglicherweise gewünschten deflatorischen Effekt.
Ja, aber fallende Preise gehen auf die Gewinne der heimischen Unternehmen. 

Viele Menschen rätseln immer noch, warum Trump das alles macht. Manche denken, dass Trump einen genialen Plan in der Tasche hat: Dollar schwächen, Bitcoin stärken, Mar-a-Lago-Accord. Andere glauben, dass Trump zu so etwas gar nicht in der Lage wäre. Was sagen Sie?
Ich glaube, er liebt einfach Zölle, weil er sich davon eine Reindustrialisierung Amerikas verspricht. Aber das wird nicht funktionieren. Wenn Amerika alles selbst herstellt, ist das unproduktiv, der Wohlstand sinkt. Amerikaner wollen mit Nike-Schuhen joggen, sie aber nicht zu Niedriglöhnen nähen. Trumps Plan ist ein Rezept zur Verarmung.

Anleger müssen sich gleichwohl mit Donald Trump arrangieren – ob sie wollen oder nicht. Wie baut man ein Trump-sicheres Portfolio auf, und kann das an die Rendite vergangener Jahre herankommen?
Das ist schwierig. Man kann auf spezielle Sektoren setzen, aber viele vermeintliche Profiteure wie Verteidigung und Infrastruktur sind schon gut gelaufen. Meine ehrliche Antwort ist: Wenn eine Volkswirtschaft wie die USA ärmer wird, dann sind am Ende nicht nur die Arbeitnehmer getroffen, sondern auch die Anleger.

Capital

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