Tom Jansen spannt ein Holzbrett in eine Maschine, die ein wenig so aussieht wie eine Hightech-Version von Hau-den-Lukas. Doch von den Kräften, die hier an den beiden Enden des Bretts ziehen, ist vorerst nichts zu sehen oder zu hören. Nur auf einem Bildschirm, der mit der Maschine verkabelt ist, steigt langsam eine Linie in die Höhe. Dann plötzlich, nach gut anderthalb Minuten: ein lauter Knall wie ein Schuss. Wo gerade noch eine glatt gehobelte Holzfläche zu sehen war, hat sich ein tiefer Riss gebildet. Jansen speichert die Werte, die der Computer anzeigt, dann holt er das geborstene Holz aus der Maschine. Anschließend ist das nächste Brett an der Reihe.

Seit dem vergangenen Jahr betreibt die Fachhochschule Aachen in Simmerath in der Eifel das Labor für Holzbauforschung. Derzeit untersucht dort Tom Jansen, Bauingenieur und Doktorand, Bretter aus Birkenholz auf Festigkeit und Elastizität. In einer anderen Maschine kann gemessen werden, welchen Kräften die dort aufgebauten Holzwände standhalten. In wieder einer anderen Maschine pressen Stempel von oben auf gut 60 Zentimeter mächtige Balken, bis auch diese mit lautem Getöse brechen. Jansen ermittelt Grenzwerte, seine Testreihen sollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Birke eines Tages als hochwertiges Bauholz anerkannt wird.

Derzeit landet das Holz von Birken meist im Kaminfeuer. Zum Bauen verwendet man üblicherweise Nadelhölzer, vor allem Fichte. Doch nachdem in den vergangenen Jahren heiße Sommer und der Borkenkäfer die Fichtenbestände in Sauerland und Bergischem Land großflächig zugrunde gerichtet haben, stellt sich die Frage, wie es mit der Holzwirtschaft weitergehen soll. Forstexperten raten den Waldbesitzern zwar schon lange, Laubbäume und andere Baumarten anzupflanzen, die besser mit langen Trockenperioden zurechtkommen.

Aber so lange unklar ist, wofür das Holz solcher Bäume später verwendet und zu welchen Preisen es verkauft werden kann, fällt vielen das Umdenken bei der Aufforstung ihrer Flächen schwer. Dazu kommt, dass eine ganze Wertschöpfungskette mitsamt ihren Maschinen und Werkzeugen auf die Fichte ausgerichtet ist: Transportunternehmen, Sägewerke, Zimmerei- und Holzbaubetriebe. Und diese wiederum müssen sich bei ihren Arbeiten an deutsche und europäische Normen halten. Denn es ist detailliert geregelt, mit welchen Hölzern auf welche Weise gebaut werden darf. Was ja durchaus sinnvoll ist: Ein Dachstuhl sollte nicht beim erstbesten Windstoß zusammenbrechen. Doch einige Baumarten sind noch von keiner Norm erfasst. Die Birke ist so ein Fall.

Es sind also dicke Bretter, die gebohrt werden müssen, um dieses komplexe Ineinandergreifen von Anbau, Verarbeitung und Regelwerk an neue Baumarten anzupassen. Genau das ist der Auftrag von Stefanie Wieland und Lukas Emmerich vom Zentrum für Wald und Holzwirtschaft, einer Abteilung des Landesbetriebs Wald und Holz Nordrhein-Westfalen. Von ihrem Standort im sauerländischen Olsberg aus steuern sie Projekte, die, so heißt es, „den Einsatz alternativer Laub- und Nadelholzarten“ möglich machen sollen.

Um zu erklären, was genau zu tun ist, fahren Wieland und Emmerich mit ihren Besuchern in ein Waldstück in der Nähe von Olsberg. Die Region wurde im Jahr 2007 vom Sturm Kyrill kahl gefegt. Schon damals waren die Waldschäden im Sauerland dramatisch, in ihrer Not überließen etliche Waldbesitzer die zerstörten Flächen sich selbst. Das Resultat: Die Birke, eine sogenannte Pionierbaumart, siedelte sich an. Die letzte Waldinventur habe ergeben, dass mittlerweile auf sieben Prozent der Waldfläche in Nordrhein-Westfalen Birken stehen, erklärt Stefanie Wieland. „Da liegt es nahe, darüber nachzudenken, ob sich daraus nicht mehr als nur Brennholz machen lässt.“

Die ersten Versuche seien allerdings „eine Herausforderung“ gewesen. Im Sägewerk machten die Bäume zunächst Ärger. Krumm und schief gewachsene Stämme hüpften von den Förderbändern. „Die Spannungen im Holz waren sehr groß und sorgten stellenweise dafür, dass Sägeblätter blockierten“, erklärt Wieland. Und es war schnell klar: „Mit Birken aus einem ungepflegten Wald wird es schwierig.“

Also überlegten die Experten, wie die Pflege eines Birkenwalds aussehen muss, um bessere Resultate zu erzielen. „Jede Baumart hat andere Eigenschaften, die eine wächst in der Jugend schnell und später langsam, die andere macht es genau umgekehrt“, sagt Wieland. „Das muss man berücksichtigen.“ Waldbesitzer, die bislang nur den Umgang mit Fichten kennen, erlernen in diesem Olsberger Wald den Blick für einen Birkenwald. Benachbarte Bäume, die Birken mit Potenzial zu nahe kommen, müsse man früh entnehmen.

Und anders als bei den Fichten müsse man die abgestorbenen Äste an den unteren Metern des Stammes entfernen. „Die Birke ist ein Totasterhalter“, erklärt die Holzexpertin. „Bleiben die toten Äste dran, wächst das Holz darum herum.“ Und daraus ergäben sich später Stellen, an denen das Holz leicht bricht. Die Bäume, die Wieland und Emmerich in ihrem Versuchswald vorzeigen, sind frei von derartigen Fehlern. „Nach 30 Jahren Wachstum erreichen solche Bäume einen Stammdurchmesser von bis zu 40 Zentimetern. Das ist wertvolles Holz, mit dem man auch bauen kann.“

Birken sind nicht die einzigen Kandidaten, die dafür infrage kommen, aber bislang nicht zugelassen sind. Auch die Küstentanne muss noch verschiedene Testverfahren durchlaufen. Ebenso die Roteiche und die Edelkastanie. Im Sauerland setzen viele Waldbauern Hoffnungen in die Nordmanntanne, die hierzulande nur als Weihnachtsbaum angebaut wird. Weil sie aus ihren Herkunftsregionen im Kaukasus eine hohe Widerstandskraft gegen lange Trockenperioden mitbringt, hat auch sie das Zeug, ein Holzlieferant der Zukunft zu werden. In Baden-Württemberg läuft ein Projekt, das zum Ziel hat, Eichenholz mit geringem Durchmesser, sogenanntes Laubschwachholz, als Baumaterial zu etablieren. Das Fraunhofer-Institut in Braunschweig experimentiert mit Buchenholz als Dämmmaterial. Denn, allen Hitzesommer- und Borkenkäfer-Krisen der Wälder zum Trotz: Das Bauen mit Holz boomt.

„Bundesweit haben wir mittlerweile eine Holzbauquote von 22 Prozent, Anfang der 2000er-Jahre waren es noch zwölf Prozent“, sagt der Bauingenieur Thomas Uibel, Professor an der FH Aachen. Für das Bauen mit Holz spreche vieles: Holz binde CO₂, schütze also das Klima. Bauzeiten seien kürzer als bei der herkömmlichen Stein-auf-Stein-Technik. Außerdem sorgten Holzbauten für ein besseres Raumklima und könnten leichter wieder zurückgebaut werden. Mittlerweile seien sogar mehrgeschossige Bauten aus Holz gang und gäbe, sagt Uibel. Bis 2019 war in Nordrhein-Westfalen die Holzbauweise nur bis zu drei Stockwerke hoch erlaubt, jetzt lässt die Landesbauordnung Holzbauten bis zu einer Höhe von etwa 25 Meter zu. „So entsteht neues Potenzial“, sagt Uibel. Der Bedarf an geeignetem Holz ist da – doch der kann immer weniger aus den absterbenden Fichtenbeständen der deutschen Mittelgebirge gedeckt werden. Alternativen müssen her.

Danach sucht man in dem von Uibel geleiteten Zentrum für Holzbauforschung, das die FH Aachen in der Eifel eröffnet hat. Derzeit kümmern sich die Ingenieure in Zusammenarbeit mit dem Olsberger Team um Stefanie Wieland vor allem um die Birke. In der mit modernsten Maschinen ausgestatteten Halle stellen Uibels Mitarbeiter Bauteile her, wie sie auch in der Praxis verwendet werden. Um sie dann mit den eingangs beschriebenen Maschinen zu prüfen.

Welche Einflüsse haben dabei Astlöcher, Krümmungen und andere Abweichungen der Holzfasern? Wie verhalten sich Festigkeit und Gewicht des Holzes zueinander? Wie verändern sich Hölzer beim Trocknen? Welche Holzverbindungen halten den hohen Belastungen stand? Am Ende werden viele Hundert Werte in Tabellen und Klassifizierungen eingetragen, über die dann eines Tages die Normenausschüsse der Europäischen Union brüten werden. „Wenn es gut läuft“, so spekuliert Thomas Uibel, „könnten in zehn oder 20 Jahren alle nötigen EU- und DIN-Normen für das Bauen mit Birkenholz vorliegen.“ Das wäre gerade noch rechtzeitig: Dann sind die Birken aus dem Sauerland reif für die Ernte.

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