Die deutsche Wirtschaft hat bereits zwei Jahre des Schrumpfens hinter sich, und auch für 2025 sieht es aktuell kaum nach Wachstum aus. Doch nicht überall zeigt die Kurve nach unten, wie die jetzt vorgelegten Kennzahlen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesländer zeigen. Manche Regionen konnten 2024 gegen den bundesweiten Trend an Wirtschaftskraft zulegen – einige von ihnen überraschend stark.

Es lohnt sich, die BIP-Zahlen im Einzelnen anzuschauen, verraten sie doch viel über den großen Umbruch, in dem sich Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich befindet. Als Ganzes betrachtet lässt die deutsche Volkswirtschaft jegliche Dynamik vermissen. Das letzte Jahr, in dem die Gesamtheit der produzierten Güter und Dienste – das Bruttoinlandsprodukt – nach Abzug der Inflation zulegen konnte, war 2022.

Für 2024 haben die Statistiker schon vor Wochen ein deutschlandweites Minus von 0,2 Prozent ermittelt. Wie die jetzt vorgestellten Daten der statistischen Landesämter offenbaren, ging es in dem Jahr in insgesamt zehn der 16 Bundesländer mit der Wirtschaftsleistung nach unten. Den größten Einbruch mussten Bundesländer hinnehmen, die industriell geprägt sind.

Im Saarland schrumpfte die Wirtschaft 2024 um 1,9 Prozent, in Thüringen ging es um 1,3 Prozent abwärts – in beiden Fällen deutlich stärker als im Bundesschnitt. Thüringen und das Saarland sind beides Bundesländer mit besonders viel Autozuliefer-Industrie. Die Unternehmen der Fahrzeug-Branche haben dort einen hohen Anteil an der Wertschöpfung und stellen einen großen Teil der Jobs.

Nach Angaben des Thüringer Wirtschaftsministeriums zählt allein die Zuliefer-Industrie im Freistaat 600 Unternehmen mit annähernd 80.000 Beschäftigten bei circa 790.000 Arbeitnehmern insgesamt. Im Saarland bringt es die Branche auf 44.000 Jobs. In Relation zur Gesamtbeschäftigung von rund 390.000 Menschen heißt das, dass jeder neunte Arbeitsplatz an der Saar am Fahrzeugbau hängt.

„Im Ländervergleich sind im Saarland die meisten Arbeitsplätze von der Automobil- und der Zuliefer-Industrie abhängig“, formuliert die Landesregierung in Saarbrücken. Rechne man die Lieferanten der Branche hinzu, würden rund 260 Unternehmen eine Wertschöpfung in der Automobilindustrie mit Umsätzen von etwa 17 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaften. Zur Einordnung: Das saarländische BIP lag 2024 bei 42,6 Milliarden Euro. Geht es Zulieferern wie ZF Friedrichshafen – dem größten Arbeitgeber vor Ort – schlecht, geht es dem ganzen Land schlecht.

Deutschlands Automobilbranche steckt in einem schmerzlichen Umbau-Prozess, der nun schon Jahre anhält und alles andere als abgeschlossen ist. Angesichts der stärker werdenden chinesischen Konkurrenz vor allem bei E-Autos und der hohen Strafzölle, die US-Präsident Donald Trump verhängen will, könnte sich die Krise eher noch verschärfen.

Die Probleme von BASF haben dem Bundesland geschadet

Handelsstreitigkeiten und Zollbarrieren könnten im Saarland zusätzlich auch das Stahlgeschäft belasten, das schon jetzt unter den hohen Energiepreisen leidet. In energieintensive Branchen ist die Produktion deutschlandweit schon seit Jahren unter Druck. Hoffnungen, moderne Halbleiter- und Batteriefabriken an der Saar anzusiedeln, haben sich zerschlagen.

„Im Saarland spielt die anhaltende Krise in der Stahlindustrie eine wichtige Rolle“, sagt Carsten Brzeski, Chefökonom Deutschland der Großbank ING. Bundesländer, in denen alte Industrien zu Hause sind, hätten es insgesamt schwer. Das betrifft auch das drittschlechteste Bundesland: Rheinland-Pfalz. Auch dort sind zahlreiche Zuliefer-Betriebe angesiedelt.

„Rheinland-Pfalz ist ebenso wie das Saarland stark von der Automobilindustrie geprägt, insbesondere von kleineren Zulieferern“, sagt Jens Südekum, Professor für Internationale Wirtschaftswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, „die haben gerade enorme Probleme, weil die großen Autokonzerne den eigenen Druck, den sie auf den Weltmärkten haben, nach unten in der Wertschöpfungskette durchreichen.“

Dazu kommt noch, dass die Region von der BASF bestimmt wird, einem der größten Industriekonzerne Deutschland. Das Stammwerk des Chemieriesen breitet sich in Ludwigshafen über eine Fläche von zehn Quadratkilometern aus. Rund 33 000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Doch das Geschäft läuft schleppend, nicht zuletzt am Standort Ludwigshafen selbst. Die Probleme der BASF dürften dazu beitragen haben, dass das rheinland-pfälzische BIP 2024 um 1,1 Prozent abgebröckelt ist.

Vor drei Jahren war Rheinland-Pfalz für einen kurzen Moment Deutschlands absoluter Wachstumschampion. Im Jahr 2021 explodierte die Wirtschaftsleistung in dem Land um 11,2 Prozent. Das lag damals an einem einzigen Unternehmen: Biontech mit Sitz in Mainz. Wegen der gewaltigen globalen Nachfrage nach Corona-Impfstoffen konnte die junge Biotechnologie-Firma ihre Produktion aus dem Stand heraus in ungeahnte Dimensionen hochfahren. Damals brachte es Biontech, gegründet 2008, auf einen Umsatz von 19 Milliarden Euro.

Doch von der Wertschöpfung ist nicht viel übrig geblieben: Der Biontech-Effekt war ein Strohfeuer. Angesichts der schwindenden Vakzin-Nachfrage lag der Umsatz der Mainzer letztes Jahr bei nicht einmal mehr 2,8 Milliarden Euro. Ein so jäher Absturz schlägt sich unweigerlich in der BIP-Berechnung des ganzen Bundeslandes wieder. Rheinland-Pfalz ist das einzige Bundesland, in dem die Wirtschaft schon drei Jahre in Folge schrumpft.

Ein anderes Beispiel für ein Strohfeuer liefert Brandenburg. Dort war das BIP im ersten Halbjahr 2023 um sechs Prozent nach oben gehüpft. Der Grund: Die Tesla-Gigafactory für batteriebetriebene Fahrzeuge in Grünheide hatte die Produktion aufgenommen. Von E-Auto-Dynamik ist in den neuesten Daten allerdings nichts mehr zu spüren. Das ostdeutsche Bundesland musste 2024 ein Minus von 0,7 Prozent bei der Wirtschaftsleistung hinnehmen.

Nach unten ging mit dem BIP auch in den drei bevölkerungsreichen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Die drei Länder sind die Kraftzentren der deutschen Wirtschaft und stehen für mehr als die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung. Baden-Württemberg beherbergt mit SAP einen der erfolgreichsten Software-Konzerne auf dem Planeten, der zuletzt außerdem zum größten Börsenunternehmen Europas aufgestiegen ist.

Die Erfolgsstory SAP hat jedoch nicht verhindern können, dass der Südwest-Staat ein Minus von 0,4 Prozent hinnehmen musste. Denn in Baden-Württemberg findet sich auch viel Autobau und energieintensive Produktion sowie Firmen, die am Export hängen. Als Folge dessen, was manche Ökonomen Deindustrialisierung nennen, haben es diese Regionen schwer – mit wenig Aussicht auf Besserung in naher Zukunft.

Hamburg hat wieder einmal der Hafen geholfen

Die Lichtblicke für die deutsche Wirtschaft waren 2024 im Norden zu finden, wo einige Regionen ein BIP-Plus schafften. Das Flächenland, dass 2024 das stärkste Wirtschaftswachstum verzeichnen konnte, ist Mecklenburg-Vorpommern. Hier ging es um 1,3 Prozent nach oben. Im Nordosten hat das Verarbeitende Gewerbe eine eher geringe Bedeutung, allenfalls dem Schiffbau kommt eine gewisse Bedeutung zu. Bei dem Plus dürfte nicht zuletzt der boomende Fremdenverkehr eine Rolle spielen.

„Es gibt einen Trend zum Urlaub dahoam, also im eigenen Land“, sagt Brzeski, davon könnte der schöne Norden Deutschlands profitiert haben. Allgemein spiegele sich in den Länderdaten die Schwäche der heimischen Industrie, die durch Dienstleistungen und in gewissem Maß Tourismus ersetzt werde. „Hinsichtlich der Wertschöpfung und des wirtschaftlichen Wohlstandes unseres Landes ist das eine eher Sorgen bereitende Tendenz“, urteilt der Volkswirt. Industrie-Jobs werden in der Regel besser bezahlt als einfache Tätigkeiten in Gastronomie oder Hotellerie.

Die Küstenländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen konnten 2024 wirtschaftlich ebenfalls zulegen. Einen Anteil daran dürfte auch hier der Tourismus gehabt haben. Der inländische Reise-Boom konnte sogar ausgleichen, dass Niedersachsen besonders unter den Schwierigkeiten des VW-Konzerns zu leiden hatte, der seine Zentrale in Wolfsburg hat.

Südekum hat eine etwas andere Theorie, was die Resilienz der Küsten-Ökonomie anbelangt: „Die guten Wachstumszahlen der Nordländer dürften eine direkte Folge der Energiewende sein“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Mittlerweile sei in den Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze sehr viel Tempo reingekommen und hier liege der Norden ganz weit vorn. Und es geht weiter: „Im nächsten Schritt könnten sich auch Industriebetriebe näher an die neuen Energiequellen verlagern, das würde noch mal einen Wachstumsschub bringen.“

Die größte positive Überraschung im Bundesländer-Vergleich aber hat wohl mit dem Trend zu mehr Service zu tun: Im Stadtstaat Hamburg ging das BIP 2024 real um 1,7 Prozent nach oben. Die Metropole ist bekannt für international operierende Dienstleistungsunternehmen. Ferner dürfte sich die Funktion der Hanseaten als Verkehrsknotenpunkt günstig ausgewirkt haben. Sport-Fan Brzeski will nicht einmal ausschließen, dass eine gewisse Sonderkonjunktur durch die Fußball-EM eine Rolle gespielt haben könnte.

Hamburg kann einige große Unternehmen aufweisen, die auf Wachstumskurs sind. Dazu zählen der Hafen, trotz Rückschlägen die Reederei Hapag-Lloyd und auch des Konsumgüterherstellers Beiersdorf. Nicht zuletzt hat der Stadtstaat einen wichtigen Standort des Flugzeugbauers Airbus, der den Konkurrenten Boeing als größten Hersteller abgelöst hat.

Eine spezielle Form von Dienstleistungen dürfte auch für den Wiederaufstieg des Bundeslandes Hessen verantwortlich zeichnen, und zwar Finanzdienstleistungen. Frankfurt am Main gilt als europäische Finanzmetropole, nicht umsonst hat die Europäische Zentralbank hier ihren Sitz.

Die Banken haben sich 2024 infolge einer günstigeren Zinsentwicklung von ihrem Tief erholt, zusätzlich läuft es an der Wertpapierbörse immer besser. Dies dürfte zusammen mit dem erholten Flugverkehr am Frankfurter Airport dazu beigetragen haben, dass auch die hessische Wirtschaft vergangenes Jahr ein Plus geschafft hat.

Selbst in schwierigen Zeiten gibt es manche Geschäftsmodelle, die Chancen bieten. Das zeichnet sich auch in einem anderen Bundesland ab: Die meisten deutschen Zukunftsinnovation auf dem Gebiet der Verteidigung und der Raumfahrt finden in Bayern satt. Der Freistaat musste 2024 nicht zuletzt wegen der Autokrise zwar einen Rückgang der Wirtschaftsleistung hinnehmen. Dank innovativer Hightech-Unternehmen auf Feldern, denen Investitionen in die Sicherheit zugutekommen, hat Bayern in nächster Zeit aber beste Wachstumsaussichten.

Zu den Technologieführern zählen Isar Aerospace, die gerade zum ersten Mal erfolgreich eine Trägerrakete vom europäischen Kontinent aus gestartet haben, oder Helsing. Das ist ein Einhorn (Start-up mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Euro), das KI-gesteuerte Drohnen herstellt, die künftig zum Schutz der Nato-Ostflanke eingesetzt werden könnten.

Das zeigt: Stagnation ist kein Schicksal. Die BIP-Zahlen der Bundesländer für 2024 zeigen zwar mehr Schatten als Licht, aber in einigen Regionen zeichnet sich bereits eine Wende zum Besseren ab.

Daniel Eckert ist seit 2002 Finanzredakteur in Berlin. Er ist Investor aus Leidenschaft und berichtet über Geldanlage, Aktien und ETFs, Vermögen und Reichtum, Gold, Bitcoin sowie Kryptowährungen. Er ist Co-Host des WELT-Podcasts „Alles auf Aktien“.

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