Skisprung-Weltmeister Marius Lindvik will von den betrügerischen Methoden seiner Norweger bei der WM in Trondheim nichts gewusst haben. „Wir sind beide völlig am Boden zerstört. Keiner von uns wäre mit einem Anzug gesprungen, von dem wir gewusst hätten, dass er manipuliert war. Niemals“, wurden Lindvik und sein Kollege Johann André Forfang in einer gemeinsamen Verbandsmitteilung zitiert. Weiter hieß es: „Auch wir Sportler tragen Verantwortung dafür, dass der Anzug passt, aber wir haben keine Routinen, um die Arbeit der Beteuer zu kontrollieren.“
Anonym gefilmte und Medien zugespielte Videos sorgen im Skispringen seit Samstag für große Aufregung. Die Aufnahmen zeigen, wie das norwegische Team im Beisein von Cheftrainer Magnus Brevig die Wettkampfanzüge auf unzulässige Art und Weise manipuliert.
Zum Start dieser Saison wurden neue Anzugregeln eingeführt. Anhand von NFC-Chips (sieben Stück sind im Anzug verbaut) und einem Schriftzeichen sollte die Kontrolle für mehr Fairness sorgen. So sollte sofort auffallen, wenn Springer unerlaubterweise die Anzüge oder Teile der Anzüge austauschen. Die Regeln sind klar: Maximal acht der gechippten Anzüge dürfen die Springer im Weltcup einsetzen, zwei weitere durften bei der Ski-WM in Trondheim gesprungen werden.
Gehackte Chips und eine unerlaubte Naht
Seit Jahren sind die Anzüge ein Streitthema. Material, Dicke und Passform müssen beachtet werden, sonst droht die Disqualifikation. Der Anzug muss aus einem luftdurchlässigen Stoff bestehen und eine Dicke von mindestens vier und höchstens sechs Millimeter haben. Zudem darf der Anzug an keiner Stelle mehr als vier Zentimeter weiter sein als der Körper in aufrechter Haltung, muss aber mindestens zwei Zentimeter zusätzlichen Spielraum bieten. Schon minimale Abweichungen können einen Vorteil im Flug verschaffen. Je größer die Anzugoberfläche, desto mehr Auftrieb erzeugt sie.
Laut „Bild“ soll versucht worden sein, die Chips zu hacken. Mit speziellen Geräten soll es möglich sein, die darauf gespeicherten Daten auszulesen, sogar die Seriennummer kann geklont werden. Dem Bericht zufolge soll mehrfach versucht worden sein, die gehackten Chips in Anzüge umzubauen. Zudem hatten die Norweger eine nicht erlaubte Naht am Anzug angebracht, die für mehr Stabilität sorgen sollte.
Sportdirektor Jan Erik Aalbu hatte am Sonntag bei einer Pressekonferenz eingestanden, dass der Verband bei zwei Anzügen wissentlich betrogen habe. Lindvik und Forfang wurden für das Großschanzen-Einzel disqualifiziert. Auf der Normalschanze hatte der 26 Jahre alte Lindvik vor dem Deutschen Andreas Wellinger den WM-Titel gewonnen.
Es kann nun sein, dass Wellinger nachträglich die Goldmedaille erhalten wird. Das scheint dem aber derzeit völlig egal. „Mir ist es am Ende eigentlich auch zu blöd. Mir geht das Thema nur auf die Nerven. Anzüge, Bindungen: Können wir uns bitte auf Skispringen konzentrieren? Der Beste solle gewinnen und nicht der, der am besten bescheißt“, sagte Wellinger genervt.
„Das macht einen schon sprachlos“
„Wir haben betrogen und damit alle Skisprungfans enttäuscht, auch uns selbst. Ich möchte mich bei den anderen Teams, den Springern, den Sponsoren und den Fans entschuldigen. Wir werden der Sache auf den Grund gehen“, sagte Aalbu. Es habe sich allerdings nur um die zwei Anzüge von Lindvik und Forfang gehandelt. Aalbu gab wie die Springer den Unwissenden. Er selbst habe keine Kenntnis von den Praktiken gehabt, erklärte er.
Beim Deutschen Skiverband (DSV) sind sie vom Ausmaß des Betrugs vollkommen geschockt. „Das macht einen schon sprachlos, wenn man sich vor Augen führt, wie hier offensichtlich ohne jegliche Skrupel manipuliert wurde“, sagte Vorstandsmitglied Stefan Schwarzbach. Der Verband fordert eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse und die damit verbundenen Konsequenzen.
Das wahre Ausmaß des Skandals ist bislang allerdings bisher nicht absehbar. „Fakt ist, dass die Vorwürfe und Verdachtsmomente, die seit gestern im Raum stehen, deutlich weiterreichen als das, was von norwegischer Seite nun eingeräumt wurde“, sagte Schwarzbach weiter.
Die deutsche Skisprung-Legende Sven Hannawald macht sich derweil große Sorgen um seine Sportart. „In meinem schlimmsten Alptraum hätte ich nicht gedacht, dass es so weit kommt. Ich hoffe, dass alle Entscheidungsträger endlich aufwachen und sich ein rigoroses Reglement überlegen. Ansonsten kann man Skispringen in zwei Jahren beerdigen“, sagte Hannawald der „Bild“.
Die Österreicher gehen noch einen Schritt weiter als der DSV und wollen den norwegischen Teams von Skisprung und Kombination alle WM-Medaillen aberkennen. Nach der Pressekonferenz von Norwegens Aalbu schimpfte Geschäftsführer Christian Scherer. „Es gab null Einsicht. Das war sehr eigentümlich, arrogant und nicht sehr glaubwürdig. Auf die wesentlichen und offensichtlichsten Fragen hat er keine Antworten gegeben“, sagte Scherer.
Österreicher fordern weitreichende Suspendierungen
Albus Aussage, von nichts gewusst zu haben, reicht Scherer nicht. „Diese Arroganz gehört abgestraft. Wenn jemand seine Disziplin nicht im Griff hat, dann ist er reif für einen Rücktritt“, forderte der ÖSV-Funktionär. Er legte den Norwegern nahe, im Laufe der Ermittlungen alle Verantwortlichen bis auf Weiteres zu suspendieren.
Für das grundsätzliche Kontrollsystem ist FIS-Chefkontrolleur Kathol verantwortlich. Seine Arbeit stellten zunächst weder Athleten noch Trainer infrage. Österreichs Coach Andreas Widhölzl erklärte: „Christian tut sein Bestes. Er kann nicht alles sehen.“ Der ehemalige Weltklassespringer forderte dafür mehr Unterstützung für Kathol. Es brauche „mehr Leute“, was „sicher eine finanzielle Frage“ sei, fügte er an.
Polen-Cheftrainer Thomas Thurnbichler fordert: „Man muss jetzt kontrollieren, ob dieser Anzug nicht auch in anderen Wettbewerben genutzt wurde. Auch zwischen den Disziplinen wird sich ausgetauscht, also ist auch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es in anderen Sparten so sein kann.“
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