Im deutschen Sport herrscht große Unruhe. Für 2025 müssen einige Verbände deutliche Einbußen bei der Förderung durch das Bundesministerium des Innern (BMI) hinnehmen – und verstehen die Kürzungen nicht. Hier kommt auf die neue Bundesregierung um die CDU und den wahrscheinlich nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz viel Arbeit zu.

So beklagt der Deutsche Judo-Bund (DJB), dass man 2025 mit 486.000 Euro weniger als im Vorjahr auskommen muss. „Es ist eine Katastrophe“, sagt Michael Bazynski, DJB-Vorstand Leistungssport: „Wir haben in den vergangenen vier Jahren bei gleicher Saisonplanung eine Kostensteigerung von 80 Prozent für Reisen zu Wettkämpfen und Trainingslagern.“

Im Judo geht es oft zu Turnieren nach Asien. Dorthin werden bereits weniger Kämpferinnen geschickt, um Geld zu sparen. Die Kader, also die Anzahl der geförderten Sportler, werden verkleinert. Es mangelt an Trainern. In der Nachwuchsarbeit wird viel zusammengestrichen.

Judo wird es auf Spitzenniveau nicht mehr geben

Die Realität sieht so aus: „Der Nachwuchs muss bei den Erwachsenen mittrainieren. Wenn ein European Cup im U18-Bereich mit Trainingslager ansteht, kommt zum Beispiel Kasachstan oder Aserbaidschan mit vier Kämpfern pro Gewichtsklasse, wir vielleicht mit einem, zum Teil auf Vereinskosten – oder Mama zahlt“, sagt Bazynski.

Hier drohen schwere Folgen: „Die Planung blickt ja nicht nur auf Olympia 2028, sondern auch auf 2032“, sagt Bazynski. „Der Aufbau eines Judoka dauert acht bis zehn Jahre. Wenn ich jetzt nur zwei pro Gewichtsklasse fördere, gibt es Judo auf Spitzenniveau in vier Jahren nicht mehr in Deutschland!“

Auslöser für die Reduzierung: Das Potenzialanalysesystem (PotAS), mit dem die Chancen der Sportarten bewertet werden, gab Judo eine schlechte Note. Dabei gewann Miriam Butkereit 2024 Olympia-Silber. „Da wird infrage gestellt, ob unsere Athletinnen unter die Top 8 bei Olympia kommen können“, sagt Bazynski. „Wir haben aber sechs in den Top 10 der Welt. Dazu kommen WM-Medaillengewinner im Juniorenbereich. Daher können wir die Einschätzung nicht nachvollziehen.“

Auch der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) hält sich für falsch eingestuft. Dieser bekommt deutlich weniger Geld. „2025 beantragte der DLV wegen gestiegener Kosten und mehr Wettkämpfen zusätzliche Mittel. Bewilligt wurden im Vergleich zum Olympiazyklus 2021 bis 2024 aber 1,2 Millionen Euro weniger“, sagt DLV-Leistungssportvorstand Jörg Bügner. 2025 fließen laut BMI 9,94 Mio. Euro an den DLV.

Die Folgen spüren die Sportler. „Da Entsendekosten zu internationalen Wettkämpfen Vorrang haben, kürzt man bei Kaderlehrgängen und Trainingslagern“, erklärt Bügner. „Die Kürzungen treffen die Disziplingruppen unterschiedlich, besonders Sprint/Hürden und Lauf/Gehen müssen mit weniger Geld auskommen.“

Nachverhandlungen mit dem BMI helfen laut Bügner kaum: „Entscheidungen über Nachträge fallen im Herbst (September/Oktober). Ohne gesicherte Finanzierung lassen sich dann keine sinnvollen Maßnahmen mehr umsetzen.“ Denn im Herbst ist die Freiluftsaison bereits vorbei.

„Wollen wir eine Sportnation sein? Wollen wir mehr Medaillen haben?“

Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo sieht ein grundsätzliches Problem, wenn es darum geht, ob die Politik den Sport stärker fördern sollte: „Das ist eine Frage, die wir als Gesellschaft beantworten müssen: Wollen wir eine Sportnation sein? Wollen wir mehr Medaillen haben? Dann muss man aber auch investieren. Das eine geht nicht ohne das andere. Sport ist meiner Meinung nach sehr wichtig, weil eben durch den Sport auch viele Vorbilder entstehen. Man lernt im Sport so viel fürs Leben, das im Beruf weiterhilft wie Teamgeist, Zeitmanagement und Krisenfähigkeit. Davon profitiert dann wieder die Gesellschaft. Wie soll aber diese Kraft des Sports wirken, wenn keiner mehr an den Start geht?“

Auch der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) muss besonders im Nachwuchsbereich vieles streichen. Maßnahmen wie Lehrgänge sind nicht im erhofften Maße möglich. Woher so die Top-Spieler von morgen kommen sollen, ist fraglich. Der DVV hatte für 2025 einen Mehrbedarf von 100.000 Euro angemeldet. Stattdessen wurden es rund 400.000 Euro weniger. „Diese Differenz von rund einer halben Million trifft uns hart und wird eine große Herausforderung“, sagt Jaromir Zachrich (39), Vorstand Sport. „Wir werden sparen, wo wir können, um es hinzubekommen.“

Die Kürzungen seien umso unverständlicher, weil die Volleyball-Männer bei Olympia sensationell ins Viertelfinale gekommen waren und es im Beachvolleyball sogar Silber gegeben hatte. Es gibt vielversprechende Ansätze. Trotzdem kam der DVV bei der Potenzialanalyse schlecht weg.

„Es ist bitter“, sagt Olympiasieger Felix Loch

Dazu gesellt sich noch eine Nachricht, die viele Sportler knallhart trifft. Die hessischen Finanzbehörden führten zum 1. August 2024 eine Obergrenze ein: Wer im Jahr mehr als 72.000 Euro vor Steuern verdient, darf keine finanzielle Förderung von der Sporthilfe mehr bekommen. Die Stiftung rechnet damit, dass dies rund 250 der 4300 geförderten Athleten betreffen wird.

Es geht dabei um monatliche Summen wie Grundförderung von 700 bis 800 Euro (150 bis 250 Euro mit Förderstelle bei z. B. der Bundeswehr), die Elite-Förderung für Medaillengewinner von 400 Euro oder das Ausbildungs-Stipendium von 300 Euro pro Monat. Gerade die erfolgreichen Wintersportler wie Rodel-Olympiasieger Felix Loch (35) sind betroffen: Dort übertrifft man die Grenze allein durch Preisgelder, Sponsoren sowie Bundeswehr- oder Bundespolizei-Sold schnell. Loch bezieht im Interview dazu klar Stellung.

Frage: Herr Loch, was halten Sie von der Streichung?

Felix Loch: Es ist natürlich bitter, dass wir anscheinend in Deutschland ein System haben, das herausragende Leistungen nicht mehr in dem Maße belohnt, wie es meiner Meinung nach sein sollte. Wir Athleten geben fast rund um die Uhr alles, um im internationalen Sport vorn mit dabei sein zu können. Wir vertreten und repräsentieren mit Stolz unser Land. Die Förderung über die Deutsche Sporthilfe ist extrem wichtig für uns, und ich selbst werde seit vielen, vielen Jahren von der Sporthilfe unterstützt. Sie ist ein wichtiger Teil meiner Karriere, und ohne die Deutsche Sporthilfe wäre ich sicherlich nicht so weit gekommen.

Frage: Wie sieht es finanziell bei den olympischen Athleten aus?

Loch: Man muss ganz ehrlich sein: Wir sind keine Fußballer, sondern viele von uns sind in Sportarten unterwegs, die leider oftmals nicht die große Aufmerksamkeit haben. Das wiederum bedeutet, dass Athleten zum Beispiel in olympischen oder paralympischen Sportarten keine Riesensprünge machen können.

Frage: Wie wird das Fördergeld eingesetzt?

Loch: Mit der Grundförderung können wir zum Beispiel persönliche, trainingsspezifische Sportgeräte kaufen oder uns das eine oder andere Mal etwas leisten, das uns wieder hilft, besser zu werden. Das kann alles Mögliche sein: Mentaltrainer, Ernährungsberater, Sporternährung usw. Es zahlt immer alles auf den nächsten Wettkampf oder die nächsten Weltmeisterschaften bzw. Olympia ein.

Frage: Mit welchen Rahmenbedingungen müssen diese olympischen Athleten zurechtkommen?

Loch: Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob du Millionen verdienst oder mit 72.001 Euro brutto vielleicht eine Familie ernähren musst, dein Partner selbst nicht Vollzeit zur Arbeit gehen kann, weil er sich um die Kinder kümmert. Fakt ist: Wir reden hier in den allermeisten Fällen von Athleten, die nur eine kurze Zeit auf dem Peak ihrer Karriere sind und auch einen Blick auf ihr Leben nach dem Sport haben müssen. Nicht alle haben das Glück, eine Sportförderstelle bei der Bundespolizei, Landespolizei oder Bundeswehr zu haben.

Frage: Wie sehr fürchten Sie, dass diese Streichung den Nachwuchs abschreckt, Leistungssport zu machen – weil die finanzielle Perspektive immer unattraktiver wird?

Loch: Das Signal sollte aus meiner Sicht sein: Wenn du richtig hart trainierst und dir den Hintern aufreißt, wirst du erfolgreich und bekommst im besten Fall einen Zuschuss, der es dir ermöglicht, dranzubleiben und vielleicht sogar besser zu werden.

Frage: Die Olympia-Prämien wie die 20.000 Euro für Gold sind seit 2014 gleich, werden von der Sporthilfe, nicht vom Bund gezahlt. In anderen Nationen gibt es Hunderttausende oder sogar lebenslange Renten vom Staat. Was sagt die Höhe über die Wertschätzung aus?

Loch: Vor allem nach den Olympischen Spielen in Paris wurde viel über die Prämienzahlungen für die Medaillen diskutiert. Ich fand das wichtig und richtig, dass der Aufschrei bei den Fans groß war, dass ein Goldmedaillengewinner „nur“ 20.000 Euro VOR Steuern bekommt. Ich meine, wir reden hier von einer Goldmedaille bei dem größten Sportereignis der Welt. Die Chance, dass ausgerechnet DU dieser eine Athlet bist, der nach vier Jahren Vorbereitung die Goldmedaille gewinnt, ist eher gering, und es muss am Tag X wirklich alles zusammenpassen. Daher wundert mich jetzt die Entscheidung des hessischen Finanzministeriums über die Einkommensgrenze, wo wir uns doch eigentlich ziemlich einig waren, dass Athleten auch finanziell mehr gefördert gehören.

Frage: Wie muss sich die Einstellung Deutschlands zum Sport verändern?

Loch: Natürlich würde ich mir für die Athleten in Deutschland mehr Wertschätzung wünschen. Das ist ganz klar! Es hat nicht immer alles mit Geld zu tun, aber eins muss man schon sagen: Andere Länder schaffen es ja auch! Aus meiner Sicht ist es ein ganz grundsätzliches Thema. Wir müssen uns überlegen: wollen wir uns erfolgreiche Athleten in Deutschland leisten: ja oder nein? Wollen wir Vorbilder im Sport für unsere Kinder haben: ja oder nein?

Frage: Spüren Sie auch Unterstützung?

Loch: Einige Politikerinnen und Politiker haben sich richtigerweise dazu positioniert. Bei uns in Bayern wurde die Olympiaprämie rückwirkend inkl. Paris und für die kommenden Winterspiele in Mailand-Cortina verdoppelt. Bedeutet: Gewinnst du zum Beispiel die Bronzemedaille, bekommst du 10 000 Euro von der deutschen Sporthilfe und die gleiche Summe noch einmal vom Land Bayern. Vor Steuern!

Die Sporthilfe teilt zur neuen Regelung mit: „Die Einhaltung der Grenze ist nach den Anforderungen der hessischen Finanzverwaltung unerlässliche Voraussetzung für die Gemeinnützigkeit der Sporthilfe, insoweit sind der Sporthilfe die Hände gebunden.“ Das heißt: Die Förderung ist nur gemeinnützig, wenn sie an Sportler fließt, die nicht zu viel verdienen. In Zukunft müssen die Sportler ihr Einkommen bei der Sporthilfe angeben – u. a. Sponsoreneinnahmen, Preisgelder und Gehälter von Förderstellen. Ausgenommen sind Medaillenprämien. Sportbezogene Ausgaben und Werbungskosten können abgezogen werden. Die Sporthilfe prüft per Zufallsprinzip.“

Der Text und das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke