Der FC Bayern träumt vom Triple mit dem Sahnehäubchen beim "Finale dahoam". Doch auf der Zielgeraden der Saison geht es "nur" noch um einen Titel: Um die Torte, die deutsche Meisterschaft. In Europa laufen andere Teams davon, das bereitet Sorgen.
Lautet die Antwort nun Florian Wirtz? Beim FC Bayern werden nach dem Viertelfinal-Knockout in der Champions League gegen Inter Mailand viele Fragen gestellt. Eine besonders dringliche lautet: Wie viele Kilos bringt der Klub noch auf die europäische Waage? Kämpft man noch als Superschwergewicht in der Königsklasse, oder ist man eher ein Schwergewicht oder gar nur noch ein Halbschwergewicht?
Nach dem Mittwochabend in San Siro kann sich der Verein nur noch schwerlich selbst in der obersten Kategorie verorten. Zum vierten Mal in den vergangenen Jahren war im Viertelfinale Feierabend. Eine Verbannung aus dem erlesensten Kreis der Könige lässt sich nicht mehr leugnen. In diesem Jahr teilt sich der Klub sie als schwacher Trost mit Riesen wie Real Madrid, dem FC Liverpool oder Manchester City. Ist diese Verbannung aber lediglich temporär, oder manifestiert sich? Und was lässt sich dagegen tun? Floran Wirtz verpflichten?
"Wir haben nicht viele europäische Topteams geschlagen", sagte Joshua Kimmich zum Ende der wieder einmal zu früh beendeten Königsklassen-Reise. Unabhängig vom Wettbewerb sei es so, dass es "zu oft der Fall ist, dass wir nicht als Sieger vom Platz gehen, obwohl wir das Gefühl haben, dass wir die bessere Mannschaft sind." Er befand sogar: "Wir hatten eigentlich eh schon Glück, mit so vielen Niederlagen so weit zu kommen. Gerade in den großen Spielen müssen wir uns deutlich verbessern, was die Effizienz und die Anfälligkeit angeht."
Der FC Bayern leidet. Mal wieder. Der Klub, der einst Titel sammelte wie andere Tränen der Enttäuschung, wird diese Saison wahrscheinlich mit nur einer Silberware beenden. Um Bayer Leverkusen die Meisterschale nicht direkt wieder zu entreißen, müsste schon absurd viel zusammen kommen. Vermutlich müssten die Münchner alle Spiele verlieren. Und selbst das könnte angesichts der Formschwäche des Titelverteidigers reichen. Aber es ist eben so: Auf Dauer nur ein Titel pro Saison, das ist für den FC Bayern zu wenig. Das hatte Ehrenpräsident Uli Hoeneß vor acht Jahren vom Tegernsee ins Land gefunkt. Der FC Bayern, das ist sein Kind. Und für seine Kinder will man nur das Beste. Man will sie in den besten Händen wissen, ehe man sie aus dem eigenen Schoß ins Leben entlässt.
Hoeneß kann nicht loslassen
Dieses Loslassen klappt nicht. Nicht bei Hoeneß. Der erste Versuch war krachend gescheitert. Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic sind längst verbitterte Geschichte. Ein zweiter Versuch mit Max Eberl und Christoph Freund findet gerade statt, aber nicht ohne die Kraft und die Macht des Ehrenpräsidenten. Dabei hatte Hoeneß doch eigentlich leiser werden wollen. Auch das hatte er ins Land gefunkt. Aber die Sorgen um seinen FC Bayern sind größer als seine Pläne. So macht er Wirtz zur Chefsache. Verkündet den Wechsel des Spielers als seinen Traum und spricht mit dessen Familie.
Die Münchner sind tatsächlich zu einem eher Ein-Titel-Klub geworden. 2020 fraß die Mannschaft von Hansi Flick der Konkurrenz alle Trophäen weg, damals gab es sechs (!) Titel. Seither ist der Titelhamster häufiger auf Nahrungssuche als ihm lieb ist. An wirklich relevanter Silberware kam nicht mehr viel hinzu. Drei Meisterschaften waren es, eine davon warf ihnen der panische BVB im Mai 2023 am letzten Spieltag noch vor die Füße.
Der Anspruch des Klubs will sich aber nicht der Wirklichkeit anpassen. Der FC Bayern trägt das Selbstverständnis in sich, in jedem Wettbewerb ein Topfavorit auf den Titel zu sein - mit allen Unwägbarkeiten, die das Spiel immer so mit sich bringt. In diesem Jahr waren es Verletzungen von Schlüsselspielern wie Jamal Musiala oder Alphonso Davies und Dayot Upamecano zur absoluten Unzeit. Und im DFB-Pokal eine frühe Rote Karte gegen Torwart Manuel Neuer. Aber diese Unwägbarkeiten sollen nach Möglichkeit miniert werden. Je stärker die Mannschaft ist, desto geringer scheint das Risiko, vorzeitig irgendwo zu kollabieren. Aber wie stark ist diese Mannschaft?
In die Hierarchie wird ein riesiges Loch gerissen
Darum wird es in diesem Sommer wieder einmal gehen. Nein, eigentlich geht es darum schon seit einer kleinen Ewigkeit. Diese Saison wird von reichlich lauten Tönen um die Zukunft des Aufgebots bestimmt. Was für einen ohrenbetäubenden Lärm gab es um die Gespräche mit Kimmich, Musiala und Müller. Es geht um die großen Verlängerungen, die bitteren Abschiede und die Sparzwänge des Klubs. In München verdient man sehr gut, was dem legendären Festgeldkonto nicht ganz so guttun soll. Wie es um den Kapitalstamm des FC Bayern wirklich steht, auch darum ging es zuletzt, als die Themen Thomas Müller und Florian Wirtz immer größer wurden.
Der sehr gut verdienende Müller bekommt keinen neuen Vertrag. Sein Abschied wird jedoch auch immer einen Beigeschmack haben. Weil sich die Begründungen für das Aus der Vereinsikone, abhängig von dem mächtigen Menschen, dem gerade ein Mikrofon gereicht wurde, unterschieden: Mal waren es rein sportliche Gründe (Max Eberl), mal spielten auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle (Uli Hoeneß). Hinzu kommt die Kommunikation des Abschieds: Nicht Müller und der FC Bayern verkündeten gemeinsam das Ende, das Hoeneß mit seinem "Nicht-würdig"-Zitat unaufhaltsam anmoderiert hatte. Die Fans (und offenbar auch der Spieler selbst) erfuhren es erst über Medienberichte und dann final über Müllers Instagram-Account.
Mit dem Ende dieses übergroßen Fußballers, der sportlich immer weniger entscheidend geworden war, aber der Mannschaft als Beschützer und Anführer wichtige Dienste lieferte, wird eine erneute Zeitenwende an der Säbener Straße eingeläutet. In die Hierarchie wird ein gigantisches Loch gerissen, ein Führungsspieler, vielleicht DER Führungsspieler ist weg. Auf dem sommerlichen Transfermarkt wird es also nicht nur darauf angekommen, Spieler von höchster Güte zu verpflichten, sondern auch Spieler, die diese Mannschaft mit anführen können. Bislang steht da als externer Zugang Tom Bischof, ein Talent aus Hoffenheim.
Wer übernimmt denn nun die Führung?
Zwar betonen sie in München, eine ausreichende Zahl von solchen Typen zu haben. Aber außer Joshua Kimmich fällt einem eigentlich niemand ein, der an die Reichweite und die Wucht von Radio Müller herankommt. Junge Stars wie Jamal Musiala oder vor allem Aleksandar Pavlović, in dem sie das Anführer-Gen schon erkennen wollen, könnten heranwachsen. Aber sie brauchen dafür noch Schatten zum Erblühen. Leon Goretzka hat sich als Anführer einen Namen gemacht, vor allem in schwierigen Jahren des DFB-Teams. Aber was wird aus ihm? Letzten Sommer galt er als Verkaufskandidat, hat sich zurückgekämpft. Dass er im Verein bleibt, scheint aber noch keine ausgemachte Sache. Weil eben der Sparzwang im Hintergrund gnadenlos grüßt.
"Wir haben die Verletzten, darüber haben wir nie geredet, aber das ist auch ein Teil der Wahrheit: dass wenn du auf Augenhöhe spielst, dann am liebsten mit allen Spielern", sagte Eberl unlängst nach dem Königsklassen-K.-o. in Mailand. "Deswegen kann ich jetzt nicht sagen, dass sich im Sommer großartige Dinge ändern werden, sondern wir müssen sie (die Spieler; d. Red.) gesund behalten."
Es ist eine gigantische Aufgabe für Eberl, den nächsten Umbruch zu moderieren und die Schwächen des Kaders auszumerzen. Viele sind es nicht, aber eben schon ein paar elementare. Ein Rechtsverteidiger auf allerhöchstem Niveau fehlt, wenn Kimmich aus dem Zentrum nicht wegzudenken ist. Konrad Laimer macht seine Sache gut, ist ein zuverlässiger Allrounder, stößt aber auf dem Toplevel auch immer wieder an seine Grenzen. Das gilt auch für die Innenverteidigung. Dayot Upamecano spielt zwar eine starke Saison, ist aber nicht frei von Fehlern. Die hatte zuletzt auch Minjae-Kim immer häufiger in seinem Spiel. In Italien wuchs er einst zum Monster, von dieser Größe hat er sich ein wenig entfernt. Vermutlich auch, weil er sich seit Wochen angeschlagen durchkämpfen soll. Die defensive Anfälligkeit bleibt ein Thema in München, was aber viel größer ist als die Innenverteidiger-Personalien.
Was dem Kader noch fehlt: Ein Back-up für Harry Kane. Ein Mann wie einst Sandro Wagner oder Eric Maxim Choupo-Moting. Irgendwo in der Gerüchteküche tauchte zuletzt mal Tim Kleindienst auf. Das wäre so einer, allerdings stellt der gerade seinen herausragenden Wert als Stammkraft bei Borussia Mönchengladbach unter Beweis und macht sich damit für die WM 2026 als Säule für Bundestrainer Julian Nagelsmann wertvoll. Und was passiert auf den Flügeln? Was wird aus Leroy Sané, dessen Vertrag läuft aus. Er soll wohl bleiben, allerdings zu deutlich nach unten reduzierten Bezügen. Um Kingsley Coman gibt es laute Abgangsgerüchte. Serge Gnabry gilt ebenfalls als Kandidat für einen Abgang. Das würde das Mittelfeld komplett durcheinanderwerfen. Gesetzt wäre noch Saisonentdeckung Michael Olise und vielleicht Sané, dessen Wankelmut aber eine große Schwäche bleibt.
Ist der Wirtz-Transfer drin?
Womöglich rückt auch Musiala auf den Flügeln in eine zentrale Rolle. Dann nämlich, wenn Wirtz tatsächlich käme. Beide haben ihre Stärken auf der Zehn, einer müsste weichen. Vom Set der Möglichkeiten käme das eher Musiala entgegen. In der Nationalmannschaft hat das schon funktioniert. Aber kommt Wirtz in diesem Sommer wirklich? Wahnsinnig viel Geld müsste der FC Bayern locker machen, bis zu 140 Millionen Euro werden berichtet. Was wieder die Spur zum geschrumpften Festgeldkonto legt. Wie steht es um die Vorräte, muss der Klub den historischen Weg zu einem Kreditinstitut gehen oder lässt sich das dickste Paket der Vereinsgeschichte aus dem Bestand stemmen, wie Hoeneß nach einigen Irrungen und Wirrungen sagte?
Und was bedeutet das dann für die Verkaufskandidaten, zu denen ja auch Joao Palhinha zählt, der Wunschspieler von Thomas Tuchel, der erst kam, als Tuchel weg war und mit dem Vincent Kompany eher wenig anfangen kann. Ein Verein für regelmäßig große Verkaufserlöse war der FC Bayern nicht, aber womöglich muss er das werden, um die Transfers zu stemmen, die ihn im gigantischen Kampf mit den unendlich reich erscheinenden Oligarchen- und Scheichklubs wieder zurück in den erlesensten Klub der Könige hieven, ihn zu einem dauerhaft titelreifen Superschwergewicht machen? "Einnahmen und Ausgaben müssen passen. Wir werden nicht einfach nur ausgeben. Es muss eine Balance da sein", sagt Eberl. Sonst droht der FC Bayern sich tatsächlich zu übernehmen.
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