Thomas Tuchel kann man viele Dinge vorwerfen. Aber gewiss nicht, dass er keine Meinung vertritt. Das wird ihm manchmal zum Verhängnis. Kaum jemand polarisiert so wie der ehemalige Trainer des FC Bayern. Als Nationaltrainer von England führt er nun ein Projekt an, das in einem Drama enden wird.
Zwei Spiele, zwei Siege. Die Qualifikation für die WM 2026 schon fast in der Tasche. Dazu ein schockverliebter Kapitän Harry Kane. Der Auftakt für den neuen englischen Nationaltrainer Thomas Tuchel hätte kaum besser sein können. Doch trotz der Siege gegen Albanien (2:0) und Lettland (3:0) bleibt das Verhältnis zwischen dem erst dritten nicht-englischen Coach der Three Lions und seinem derzeitigen sportlichen Heimatland ein kompliziertes.
Was Tuchel nach dem 3:0 gegen Lettland jedoch nicht davon abhielt, von seiner Mannschaft zu schwärmen. Die Spieler, sagte er, hätten ihn nämlich daran erinnert, "warum ich so begeistert von diesem Job war". Es waren Worte, die seinen ersten Worten als Trainer von Bayern München ähnelten.
Damals hatte er am 1. April 2023 nach dem 4:2 im ersten Spiel gegen den BVB davon geschwärmt, wie wahnsinnig ihn die Rückkehr in eine Fußballkabine gefreut habe. Diesmal auch. Tuchel, das lässt sich festhalten, liebt die Kabine, doch die nicht immer ihn, wie die zuletzt in Deutschland von Lothar Matthäus und Karl-Heinz Rummenigge geäußerte Kritik am ehemaligen Bayern-Trainer nahelegt.
Harry Kane kann nicht mehr vor Liebe
Doch da ist Tuchel noch nicht, der am Montag im Wembley-Stadion genug Zeit hatte, den "fantastischsten" Staff Englands zu loben, das "top organisierte" Trainingscamp zu erwähnen und allgemein gute Laune zu verbreiten. Die Tore von Reece James (38. Minute) per Traumfreistoß, Harry Kane (68.) und Eberechi Eze (76.) hatte es ihm ermöglicht, die Worte von Kane hatte ihm geschmeichelt. "Thomas Tuchel ist fantastisch, es hat von Anfang an gepasst", hatte Kane gesagt.
"Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten. Er hat Leidenschaft reingebracht." Genau das hatte der 51-Jährige gehofft. Dass es wirklich so ist, daran äußerten im Nachgang einige Kritiker ihre Zweifel. Dass diese nicht lauter wurden, lag am geduldigen und erfolgreichen Auftritt gegen Lettland, der ein wenig glücklich zustande gekommen war, wie sogar Tuchel zugab.
Denn es hatte auch diesen einen Kippmoment gegeben. Früh in der zweiten Halbzeit des Spiels gegen Lettland hatte Tuchel nervös in Richtung Schiedsrichter Orel Grinfeeld geschaut. Bereits zum zweiten Mal in der Partie war der ehemalige Dortmunder Jude Bellingham in einen Gegenspieler gerauscht. Beim ersten Mal hatte der Spieler von Real Madrid Gelb gesehen, diesmal hatte er den lettischen Verteidiger Raivis Jurkovskis erwischt. Grinfeeld beließ es bei einer letzten Ermahnung. Tuchel beorderte Bellingham vom Feld. Phil Foden kam. Da waren 67 Minuten gespielt. Mit dem nächsten Spielzug fiel das 2:0. Es war die Entscheidung.
Leise Kritik an Belllingham
"Da hatten wir schon ein wenig Glück", sagte Tuchel nach dem Spiel. "Die Gelbe Karte war ein wenig hart, die zweite hätte man geben können. Das hätte das Spiel auf den Kopf gestellt, deswegen haben wir auch sofort entschieden, ihn vom Platz zu nehmen. Jude hat im ersten Spiel alles gegeben, heute wirkte er nicht so frisch. Ich wollte nichts riskieren, deswegen habe ich ihn ausgewechselt."
Bellingham wird in England weiterhin als eine große Hoffnung gesehen, doch ganz langsam wendet sich das Blatt gegen den immer noch erst 21-Jährigen, der schon so lange dabei ist. "Bellingham will immer noch zu viel. Er bringt viel Zeit damit, sich um Verteidiger zu drehen. Mal in die eine und mal in die andere Richtung", schrieb der "Guardian" nach dem Erfolg gegen Lettland.
"Das ist nicht effizient genug. Dadurch hat er nur weniger Raum und seine Frustration nimmt zu. Er kocht weiter gerne über, wenn die Dinge kompliziert werden." Das Blatt bescheinigte Bellingham noch, ein Spielveränderer zu sein, doch kritisierte ihn für fehlende strategische Fähigkeiten. Für Tuchel gab es nur Lob. Die Auswechslung zeige, dass er nicht Einzelpersonen über die Mannschaft stelle.
Englischer Boulevard wartet geduldig
Anders sah es die nur Tuchel-Fehler lauernde "Daily Mail". Nichts habe sich seit dem Ende der Ära von Gareth Southgate verändert. Dem ehemaligen Trainer der Three Lions hatte der manchmal entweder tollpatschige oder bewusst provozierende Tuchel ja zum Auftakt seiner Amtszeit in dieser Länderspielpause noch einen mitgegeben und Southgates EM-Team aus dem vergangenen Sommer gnadenlos zerpflückt. "Die Identität, die Klarheit, der Rhythmus, die Wiederholung von Spielmustern, die Freiheit der Spieler, ihr Selbstausdruck, ihr Hunger", hatte Tuchel auf die Frage geantwortet, was England im deutschen Sommer von 2024 gefehlt habe.
"Vielleicht bereut Tuchel diese Kritik langsam. Genau das hätte man der englischen Mannschaft jetzt auch gegen Lettland vorwerfen können", schrieb die Zeitung und bescheinigte den Three Lions eine langweilige, nahezu selbstverliebte Leistung. "Tuchel hat jetzt eins von sechs Trainingscamps vor dem Abflug in die USA zur WM im kommenden Jahr absolviert. Er hat nur noch fünf. Englands Trainer muss jetzt ganz schnell Fortschritte machen."
Wie immer in England, wie immer auch bei Tuchel ist alles fragil. Bleibt der Erfolg aus, fallen die Kritiker über England her und fallen die Kritiker traditionell auch über Tuchel her. Die Three Lions und der deutsche Trainer sind ein Bündnis eingegangen, das in ganz großen Emotionen enden wird. In welcher Art diese Emotionen sich gestalten, ist nach den ersten beiden Spielen weiterhin unklar. Das wird sich erst bei der kommenden Trump-WM 2026 in Mexiko, Kanada und den USA zeigen. England ist auf dem Weg. Tuchel auch.
"Klar. Es gibt immer noch genug Verbesserungsmöglichkeiten", sagte Tuchel. "Zwei Spiele, zweimal ohne Gegentor und wir haben keine großen Chancen zugelassen. Es gibt einfach viele positive Sachen, die wir mitnehmen. Heute war es nicht einfach. Wir haben trotzdem richtig gute Dinge gesehen, wir haben gute Chancen kreiert. Diesmal haben wir erst einen Freistoß gebraucht. Ich bin glücklich mit der Einstellung, der Energie, der Leidenschaft. Wir sind auf dem Weg." Daran zweifelt niemand. An der Richtung schon. Tuchel und England bleiben selbst nach biederen Auftaktspielen das explosivste Projekt der Fußballwelt.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke