Anna-Lena Forster ist eine der erfolgreichsten deutschen Wintersportlerinnen. Trotzdem kennen wenige ihren Namen. Die 29-Jährige fährt Monoski, tritt im Para-Ski-alpin an. Sie gewinnt im Februar Gold und Silber bei der WM, dennoch ist der Ärger groß. Darüber und wie sie auf ihre vierten Paralympics blickt, spricht sie im Interview mit ntv.de.

Vier paralympische Goldmedaillen, zehn WM-Titel, zahlreiche weitere Medaillen. Das sind die Erfolge Ihrer bisherigen Karriere. Das konnten Sie aber nicht ahnen, als Sie zum ersten Mal Monoski gefahren sind. Was macht den Reiz Ihrer Sportart aus?

Anna-Lena Forster: Ich kann in den Bergen sein, habe diese herrliche Aussicht. Zudem ist es als Rollstuhlfahrerin normalerweise eine absolute Katastrophe, durch den Schnee zu kommen. Im Monoski kann ich aber total frei sein, über den Schnee gleiten. Das gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Durch eine Hüftbewegung kann ich den Ski so rumziehen, dass ich Geschwindigkeit draufkriege, das macht extrem viel Spaß. In den Speeddisziplinen können es an die 100 Stundenkilometer sein. Diese Bewegung, diese coolen Schwünge zu fahren und sich frei zu fühlen - das ist es, was es für mich ausmacht.

Wie sind Sie dazu gekommen?

Meine Eltern sind gern Ski gefahren und waren viel in den Bergen. Mein drei Jahre älterer Bruder hat auch schon mit zwei Jahren Ski fahren gelernt. Als ich dann mit der Behinderung auf die Welt kam, dachten meine Eltern, dass es wohl nichts wird. Aber dann gab es bei uns in der Region einen Behindertensporttag, bei dem verschiedene Sportarten vorgestellt wurden. Gerda Pamler, die mehrere Paralympics im Monoski gewonnen hat, hat an diesem Tag Kurse gegeben. Damals gab es noch keine Monoski für Kinder - wir mussten ein bisschen warten, bis ich da hineingepasst habe. Als ich sechs Jahre alt war, haben wir eine Erwachsenenschale für mich ausgepolstert. Die Sitzschale muss wie ein Skischuh genau passen. Richtig schön eng, weil man das für die Kraftübertragung braucht.

Sie haben alles gewonnen, was geht. Mehrfach. Jahrelang sind Sie die Dominatorin. Jetzt bekommen Sie mächtig Konkurrenz aus verschiedenen Nationen. Wie gehen Sie damit um?

Das sind natürlich gemischte Gefühle. Einerseits freue ich mich total, dass jetzt mal wieder Konkurrenz da ist. Das motiviert ja auch und pusht einen, wenn man sieht, ich muss jetzt wirklich Gas geben, um auf dem Podium zu stehen. So macht Rennen fahren viel mehr Spaß. Denn darum geht es doch in Wettkämpfen, dass man sich gegenseitig zu Höchstleistungen pusht. Und von dieser Seite betrachtet ist es cool. Aber natürlich ist es eine Umstellung, wenn auf einmal noch andere da sind, die ganz vorne mitmischen. Das ist schon eine mentale Aufgabe, aber es ist gut, dass es jetzt schon so ist und nicht erst nächstes Jahr. So kann ich mich Richtung Paralympics auch darauf vorbereiten, dass es nicht immer selbstverständlich der erste Platz ist, sondern auch andere da sind, die super stark Ski fahren.

Sie sprechen das Mentale an, Sie arbeiten auch mit einer Mentaltrainerin zusammen und haben Psychologie studiert. Wie hilft das beim Sport?

Ich bin durch den Sport zur Psychologie gekommen. Wir hatten schon beim Nachwuchs immer mal wieder eine Sportpsychologin dabei. Ich fand das spannend, weil funktioniert hat, was wir ausprobiert haben. Als es dann Richtung Abi und Studienwahl ging, habe ich gedacht, Psychologie könnte für mich spannend sein. Im Sport hat die Psyche eine große Auswirkung. Im Wettkampf entscheiden sich 70 bis 80 Prozent durch das Mentale. Fahren können ja alle, es geht also darum, dass man das, was man trainiert hat, auch abrufen kann. Wenn das Mentale nicht stimmt, kannst du die beste Skitechnik haben, kriegst es aber im Rennen nicht umgesetzt. Richtig groß wurde das Thema bei mir vor den Paralympics 2022 in Peking. Da habe ich gemerkt, dass ich vor einer echt großen Aufgabe stehe. Denn ich bin als Favoritin zu den Spielen gefahren und musste mit dem eigenen Druck und den ganzen Medienanfragen umgehen. Da habe ich gedacht, ich packe das nicht mehr allein. Wir haben dann intensiv angefangen, am Mentalen zu arbeiten. Ich glaube, das war meine Rettung.

Das hat ausgezeichnet funktioniert. Sie haben zweimal Gold und zweimal Silber gewonnen. Sehr erfolgreich ist gerade auch die WM gelaufen, Sie haben Gold und Silber erkämpft. Und dennoch ist die WM ein großer Ärger gewesen. Statt fünf Disziplinen wurden auf einmal nur zwei durchgeführt.

Die WM in Maribor war von Anfang an eine Notlösung, weil sich kein Veranstalter gefunden hat. Dabei war es dort schon in den letzten Jahren nicht schneesicher. Gerade für die Speedrennen ist das wichtig. Aber die FIS Para Snow Sports hat immer gesagt, das kriegen wir hin. Die Trainer haben immer wieder nachgefragt und wir konnten über die Webcams sehen, dass kaum Schnee liegt. Also, man muss sagen, es war ein Witz. Ich weiß nicht, was sie erwartet haben. Einen Wintereinbruch? Und dann wurde tatsächlich an dem Tag, an dem wir angereist sind, die Abfahrt abgesagt. Dabei waren schon alle da, auch die Kanadier zum Beispiel, die eine Woche vorher noch gefragt haben, ob es sich wirklich lohnt zu fliegen. Es wurde nicht transparent kommuniziert. Unser Vertrauen, das der Teams, wurde missbraucht. Das ist wirklich frustrierend.

Wie sah denn die Piste aus?

Wir haben nach der ersten Absage die Befahrung gehabt, haben den Hang gesehen und haben gefragt: Wie wollt ihr darauf überhaupt Speedrennen fahren? Das ist supergefährlich! Wenn da jemand durchs Netz durchgeht, dann liegt er auf dem Erdboden. Die Strecke war super schmal. Dann standen auch noch die Schneekanonen nicht gut gesichert nahe an der Piste. Man kann nur den Kopf schütteln und sich fragen, warum sind wir eigentlich hier? Wir waren wirklich entsetzt, was uns da präsentiert wurde. Es geht für uns nicht nur um Medaillen, sondern auch um Qualifikationsmöglichkeiten und um Empfehlungen für den Kaderstatus. Plötzlich hatten wir nicht mehr fünf Rennen, sondern nur noch zwei. Keine Speedrennen, nur noch Slalom und Riesenslalom. Und die Kosten für die Teams waren trotzdem die gleichen.

Wird es ein Nachspiel geben? Planen Sie als Sportlerinnen da etwas gemeinsam?

Wir haben eine Athletenfokus-Gruppe. Darin sind mehrere Athleten aus verschiedenen Nationen und Kategorien. Die haben sich vor Ort auch schon getroffen und mit der FIS Para Snow Sports zusammengesetzt. Doch die FIS hat leider sehr viel Verantwortung einfach von sich geschoben, nicht viel eingesehen und anderen die Schuld gegeben. Jetzt haben wir als Athleten noch einen Brief verfasst, der an die FIS Para Snow Sports geht. Wir Athleten müssen jetzt aufstehen und zeigen, dass wir so nicht mehr behandelt werden möchten.

Wie kann es sein, dass die WM so chaotisch verläuft? Von der Vergabe bis zur Durchführung?

Die FIS hat uns als Sportart erst vor knapp zwei Jahren übernommen, von daher war wenig Zeit. Hinzu kommt, dass der Veranstalter bei uns keine Tickets für die Wettkämpfe verkauft. Aber die Pisten müssen in der Zeit der WM für Touristen gesperrt werden. Noch dazu braucht es Helfer. Also gibt es schon Punkte, die dagegensprechen, eine WM auszutragen. Aber wir haben ja auch Weltcuporte. Notfalls kann man ja die Speedrennen an einem Ort machen und die Technikrennen halt an einem anderen. Dann müsste nicht einer allein alles ausrichten, das hatten wir auch schon.

Würden Sie sich wünschen, dass Ihre Wettbewerbe an die der Nicht-Behinderten angegliedert werden? Bei der Nordischen Ski-WM gibt es jetzt zwei Wettkämpfe, die Leichtathleten haben schon einige Jahre gemeinsame Wettkämpfe. Würde dann nicht auch Para-Ski-alpin bekannter? Würden Sie dann bekannter werden, weil Sie häufiger Aufmerksamkeit bekommen?

Von den Hängen und den Schneebedingungen her ist es natürlich schon so, dass die Nicht-Behinderten noch mal vereistere, steilere Pisten fahren. Und in den Speed-Disziplinen haben sie Sprünge drin. Die werden bei uns entschärft. Das heißt, von der Piste her müsste man schon schauen, ob es so viel Sinn macht, dass wir da auch fahren. Aber vielleicht müsste man es einfach mal testen. Man könnte auch schauen, ob man uns an den Europacup angliedert, es muss ja nicht unbedingt der Weltcup sein. Ich glaube schon, dass diese Maßnahme helfen würde und dass wir mehr Aufmerksamkeit bekommen würden. In den letzten Jahren haben wir schon immer mal wieder unsere Wettkämpfe kurz nach dem Damenweltcup der Nichtbehinderten gehabt, da stand dann im jeweiligen Austragungsort schon alles. Vielleicht ist es auch für das Fernsehen einfacher zu sagen, wir haben schon die ganze Übertragungstechnik dort, dann verlängern wir jetzt einfach.

Im Fokus stehen Sie und Ihre Konkurrenz natürlich bei den Paralympics. Im kommenden Winter ist es wieder so weit. Für Sie werden es in Mailand/Cortina d'Ampezzo die vierten Spiele sein. Sie sind jetzt schon ein Oldie, macht es das nochmal anders?

Der Fokus liegt immer auf den nächsten Spielen, das ist das große Ziel, das man vor Augen hat. Klar, weil wir dort große Aufmerksamkeit bekommen. Aber auch, weil die Paralympics einfach etwas ganz Besonderes sind. Da herrscht eine besonders euphorische Stimmung mit vielen Zuschauern, das muss man einfach mal miterlebt haben. Ich freue mich echt jedes Mal wieder darauf, weil es ein mega Event ist. Und diesmal findet es in der Nähe statt, in Italien, sodass viele aus der Heimat hinkommen und zuschauen können. Nach Peking habe ich alles erreicht, was ich erreichen wollte. Ich wollte einmal Gold holen und das dann nochmal bestätigen. Das heißt, mein persönliches Soll habe ich erfüllt. Aber als Sportlerin bin ich natürlich ehrgeizig und möchte wieder ganz oben stehen. Darauf trainiere ich hin, das ist mein großes Ziel. Aber wie gesagt, die Konkurrenz wird stärker, bei der WM gab es superspannende Rennen. Das macht natürlich nochmal mehr Spaß und ist auch für die Zuschauer cooler, wenn es so eng zwischen den Athleten ist.

Gibt es denn Gedanken zum Karriereende?

Diese Gedanken macht man sich irgendwie immer. Aber ich möchte auf jeden Fall die Weltmeisterschaft 2027 in Frankreich noch mitnehmen. Das steht auf meinem Plan, auch weil ich es schade finde, mit Paralympics aufzuhören. Was dann aber 2027 kommt, weiß ich noch nicht. Vielleicht sage ich auch, dass es mir so viel Spaß macht, dass ich noch weitermache.

Mit Anna-Lena Forster sprach Anja Rau.

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