Von wegen Frauenkrankheit: Migräne trifft auch Männer, bleibt da aber oft unerkannt, weil die Symptome häufig anders sind. Welche das sind und wie moderne Therapien helfen. 

Migräne trifft vor allem Frauen – denkt man. Doch auch Männer leiden unter der neurologischen Erkrankung. Häufig bleibt sie unerkannt oder wird falsch behandelt, weil Symptome fehlen oder anders sind als bei Frauen. Der Neurologe und Kopfschmerzexperte Professor Christian Maihöfner erklärt, wie sich Migräne bei Männern wirklich zeigt, warum viele jahrelang keine Hilfe bekommen – und wie moderne Therapien heute das Leben der Betroffenen verändern.

Warum wird Migräne bei Männern so selten erkannt?

"Migräne gilt als Frauenkrankheit – dabei sind Männer durchaus betroffen", sagt Christian Maihöfner, Kopfschmerzexperte der Deutschen Hirnstiftung. Zwar tritt Migräne bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger auf. Doch auch jeder 15. bis 20. Mann erkrankt im Laufe seines Lebens daran. Oft wird die Diagnose bei Männern erst spät gestellt, weiß Maihöfner aus seinem klinischen Alltag als Neurologe im Klinikum Fürth: "Kommt ein Mann mit Kopfschmerzen in die Praxis oder Klinikambulanz, denkt man eher an zu viel Stress und Spannungskopfschmerzen – und nicht an Migräne." Ein Grund dafür: Die Symptome sind teilweise andere als bei Frauen und damit schwerer einzuordnen.

Professor Christian Maihöfner leitet die Neurologie am Klinikum Fürth und ist Kopfschmerzexperte der Deutschen Hirnstiftung © Christian Horn

Welche hormonellen Zusammenhänge gibt es?

Die Unterschiede in der Häufigkeit der Migräne zwischen Männern und Frauen beginnen schon in der Pubertät, was auf hormonelle Einflüsse hindeutet. Testosteron könnte dabei eine schützende Wirkung gegen Migräne haben. Gestützt wird die These von Studiendaten, nach denen Männer mit chronischer Migräne teils niedrigere Testosteronspiegel haben. Testosteron beeinflusst offenbar auch die Schmerzempfindlichkeit bei Männern und könnte erklären, warum Migräne nicht nur seltener, sondern oft auch weniger intensiv auftritt.

Wie äußert sich Migräne bei Männern – und worin unterscheidet sie sich von der bei Frauen?

Frauen schildern eher den typisch einseitigen, pulsierenden Kopfschmerz. Männer haben oft diffusere Beschwerden. "Viele Männer beschreiben einen beidseitigen, also holozephalen Schmerz", sagt Maihöfner. Sie berichten auch seltener über typische Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- oder Geräuschempfindlichkeit. Das erschwert oft die Diagnose.

Migräne bei Männern: die wichtigsten Anzeichen

  • Heißhunger, Reizbarkeit oder Stimmungsschwankungen im Vorfeld
  • Trigger wie Schlafmangel, Alkohol oder Stress
  • neurologische Probleme wie Sehstörungen, Kribbeln oder Sprachprobleme kündigen Migräneanfall an
  • pulsierende, stechende Kopfschmerzen – oft beidseitig
  • starke Erschöpfung nach einem Anfall

Kündigt sich eine Migräne bei Männern an?

Statt der typischen Begleitsymptome haben Männer deutlich häufiger neurologische Begleiterscheinungen – sogenannte Auren. "Aura" kommt vom griechischen Begriff "Aurora", der Göttin der Morgenröte; die Morgenröte kündigt den Tag an – und die neurologische Aura den akuten Migräneanfall. Das können Sehstörungen, Kribbelgefühle in Armen und Beinen, Sprachstörungen oder sogar Lähmungen sein – manchmal sogar ganz ohne Kopfschmerzen. "Das macht die Sache besonders tückisch, weil dann statt an Migräne zum Beispiel an einen Schlaganfall oder an Epilepsie gedacht wird", sagt Maihöfner. Wichtige Zusatzuntersuchungen wie EEG (Elektroenzephalogramm) und MRT (Kernspin) helfen, die verschiedenen neurologischen Erkrankungen zu erkennen. 

Stimmungsschwankung statt Schmerz: Beginnt Migräne schon Tage vorher?

Bei Migräne denkt man erst einmal an Kopfschmerzen. Seit einiger Zeit ist klar, dass eine Migräne mehr ist. Das sogenannte Prodrom zeigt die Migräne schon Tage vorher an: mit Stimmungsschwankungen, Heißhungerattacken, sogar mit Kreativitätsschüben. "Viele Betroffene wissen dann schon: Okay, jetzt bekomme ich bald wieder Kopfschmerzen", erzählt Maihöfner. Diese Prodrom-Phase scheint bei Männern stärker ausgeprägt zu sein – genau wie das sogenannte Postdrom. Damit ist gemeint, dass man nach einer Migräneattacke unabhängig vom Schmerz noch Begleitsymptome haben kann. Diese scheinen bei Männern ebenfalls häufiger zu sein.

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Was sind die Auslöser bei Männern?

Auch wenn viele Männer Schokolade oder Käse als Auslöser nennen: "Der Heißhunger auf spezielle Lebensmittel ist eher die Folge des Prodroms, der Vorbotenphase der Migräne", sagt Maihöfner. Bekannte typische Auslöser bei Männern sind:

  • Schlafmangel
  • Alkoholkonsum
  • übermäßiger Stress

Vor allem wenig Schlaf und Alkohol spielen bei Männern eine größere Rolle als bei Frauen. Wer in diesem Zusammenhang regelmäßig unerklärliche Kopfschmerzen entwickelt, sollte professionelle Hilfe suchen.

Wie wird Migräne bei Männern heute behandelt?

"Die Therapie hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht", sagt Maihöfner. Neben den bewährten Triptanen gebe es neue Medikamente, die gezielt in das Migränegeschehen eingreifen: sogenannte CGRP-Antikörper. Sie blockieren einen bestimmten Botenstoff (CGRP), der an der Schmerzweiterleitung beteiligt ist – mit oft verblüffendem Erfolg. "Einer meiner Patienten hatte zum Beispiel vorher 15 Migränetage im Monat – mit der aktuellen Medikation sind es nur noch ein bis zwei", erzählt Maihöfner. Die Kosten für die modernen Therapien tragen die Krankenkasse, wenn andere Verfahren ausgeschöpft sind.

Was ist eine Migräne?

 

  1. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie Migräne genau entsteht. Expertinnen und Experten vermuten, dass in der frühen Phase – dem sogenannten Prodrom – im Gehirn eine gestörte Kommunikation zwischen dem sogenannten Hypothalamus und bestimmten Hirnstammstrukturen entsteht.
  2. Typische Folgen sind Schlafprobleme oder Heißhunger auf Schokolade: Symptome, die früher oft als Auslöser galten, heute aber eher als erste Vorboten der Migräne verstanden werden.
  3. Die Veränderungen aktivieren den sogenannten "Migräne-Generator" im Hirnstamm. Die Folge: Blutgefäße der harten Hirnhaut erweitern sich und entzünden sich – das typische Pochen und Pulsieren im Kopf beginnt. Auch Schmerzen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit sind die Folge.
  4. Mitverantwortlich ist ein spezieller Botenstoff: das Eiweiß Calcitonin Gene Related Peptide, kurz CGRP. Es wird bei Migräne vermehrt vom Trigeminusnerv freigesetzt und bindet an bestimmte Rezeptoren.
  5. Hier setzen moderne Therapien an: Sie blockieren gezielt das CGRP oder seine Andockstellen – und können so Migräneattacken deutlich abschwächen oder ganz verhindern.

Lassen sich Migräneanfälle vermeiden?

Zusätzlich zur medikamentösen Prophylaxe helfen vor allem regelmäßiger Ausdauersport und Entspannungsverfahren dazu beizutragen, dass Migräneattacken gar nicht erst auftauchen. Auch Stressbewältigungsstrategien, Biofeedback und Verhaltenstherapie gehören dazu. "Gerade Männer profitieren oft von einem strukturierten Therapiekonzept", sagt der Experte.

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Warum fällt es Männern oft so schwer, sich Hilfe zu holen?

"Männer bagatellisieren ihre Beschwerden – nicht aus Trotz, sondern aus Gewohnheit", sagt Maihöfner. Viele Betroffene würden die Symptome ignorieren oder versuchen, sich "durchzubeißen". Hilfe suchten sie oft erst dann, wenn der Leidensdruck massiv ist – die Beziehung leidet, die Betroffenen im Job nicht mehr funktionieren. Dazu kommt: Männer fühlen sich mit der Diagnose Migräne oft nicht ernst genommen. "Es fehlt an Vorbildern, an öffentlicher Wahrnehmung. Migräne gilt immer noch als Frauenkrankheit", erklärt der Neurologe. Dabei könnten Männer besonders profitieren – wenn sie sich frühzeitig in eine spezialisierte Kopfschmerzsprechstunde begeben. "Ich wünsche mir mehr Bewusstsein bei Fachleuten und Betroffenen: Auch Männer können eine Migräne haben – daran sollte man in der klinischen Praxis immer mal denken."

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